Sanssouci: Vorschlag
■ Die Legende Vega
Fast genau vor zwei Jahren gab es an einem der BID-Showcases einen überraschenden Gig: Alan Vega präsentierte sich mit seiner damaligen Partnerin Liz Lamiere, und das auch noch an einem Abend, der eigentlich unter dem Motto „Gitarren dicht und satt“ stand. Dementsprechend kurz geriet dann auch der Auftritt, vier bis fünf Songs in etwa zwanzig Minuten, und die Sache war gelaufen. Man sah man dem Mann seine 20 Jahre Rock 'n' Roll auch an. Mit aufgedunsenem Gesicht und leicht zur Fettleibigkeit neigend, mußte auch Alan Vega, wie schon etliche andere vor ihm, der fortlaufenden Zeit und den konsumierten Drogen seinen Tribut zollen. Das war bei ihm nicht unbedingt vorherzusehen. Er begründete seinen legendären Status als Sänger des New Yorker Duos Suicide, wobei er den Namen dieser Band als eine einzige Lebensbejahung ansah und Dinge wie Saufen, Drogen nehmen und die Zeit vergammeln als eine große Verschwendung bezeichnete.
Tatsächlich aber war die erste Suicide-Platte schon eine wahre Untergangssymphonie; kalt, hermetisch, bedrohlich und depressiv mit „Frankie Teardrop“ als desperatem Höhepunkt: die Geschichte eines Fabrikarbeiters, der erst Frau und Kind und dann sich selbst aus existentieller Not umbringt. Das Gestöhne und die Schreie Vegas in diesem Song verliehen dem sirrenden und stockenden Elektrospiel Martin Revs angstvolle Effekte. Die Platte, 1977 zur Blütezeit des Punks aufgenommen, war ihrer Zeit, das darf man ruhig mal sagen, um einige Jährchen voraus, denn Rev und Vega blieben trotz der ausschließlichen Anwendung von Drumcomputern und Synthezisern in einem Rock-'n'-Roll-Kontext, ohne sich Experimenten und Avantgardismen anzubiedern.
Nach einer zweiten Platte trennte sich das Duo fürs erste, und Vega versuchte, mit Soloplatten seinem persönlichen Ideal von Rock- und Billy- und Elvistum plus diversen elektrischen Maschinchen (allerdings poste er dann und wann auch mit einer Gitarre herum) nahezukommen. Die Bauchlandung folgte mit „Just A Million Dreams“, einer Platte, mit der Vega von seiner (Major-)Plattenfirma auf Pop-Star getrimmt werden sollte. Danach verschwand er zunächst völlig in der Versenkung.
Aber das Stehaufmännchen berappelte sich wieder, und seit ein paar Jahren gibt es in unregelmäßiger Reihenfolge Suicide- oder Vega-Platten – für manche Meisterwerke, für andere die neunte Fortsetzung irgendwelcher New-Wave-Sampler. So gut shouten, ächzen, jauchzen und stöhnen wie ehedem kann Vega in jedem Fall noch immer, selbst wenn das live sicher nicht mehr in solcher Intensität und Kraft (Gründe s.o.) herüberkommen kann. Auch schnulzigste Love-Songs wie „Surrender“ oder „Cry A Sea of Tears“ stehen dem „Cheree, Cheree, I Love You, Oh Baby“, der anderen, helleren Suicide-Seite von '77 an Einfachheit und Klarheit in der Aussage in nichts nach. Ganz gleich, wie die diesjährige Verfassung (und auch Sing- und Spiellust) ist, Vega ist schon jetzt eine lebende Legende, die auch durch saft- und kraftlose Vorstellungen kaum an Faszination einbüßt. Hingehen ist heute abend Pflicht (und Ehrensache!). Gerrit Bartels
Alan Vega und Chrushland, heute abend 20.30 im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
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