Sanssouci: Vorschlag
■ Attila The Stockbroker
Früher, in den wahrlich wilden Zeiten, erreichten Popmusikanten selten das dreißigste Lebensjahr. Das hatte viele Gründe, die aber nahezu alle in einer griffigen Formel zusammengefaßt wurden: sex & drugs & rock 'n' roll. So ergab es sich wie von selbst, daß der tapfere Rest, der alt genug wurde, quasi automatisch mit dem schütteren Haar zur Legende mutierte. Heutzutage, da der Beamtenpop so penetrant gesund lebender Familienväter wie Phil Collins die Szene beherrscht, braucht es schon mehr als das pure Überleben zur Bildung einer Legende. Hier haben wir eine:
Er nennt sich Attila The Stockbroker, ist ein Kind der Punkrevolution und seine Bühnenkarriere fast so alt wie sie: 15 Jahre. Doch begonnen hatte alles ganz anders. Attila war Fußballjournalist und Dolmetscher an der Londoner Börse. Nachdem er das bürgerliche Leben mehr oder weniger glücklich abgeschlossen hatte, begann seine Karriere als Musiker, Poet und Komiker. Bereit, diese Bereiche voneinander zu trennen, war er nicht. So wurde er zu einem der damals seltenen Grenzgänger: Ob nun Punk-, Folk- oder Comedy-Festivals, Attila war überall.
Genauso vielfältig waren und sind denn auch immer noch seine Ausdrucksformen. Rezitationen ohne Musik oder zu Klassik, ob Mandoline, Geige oder Gitarre, ob akustisch oder elektrifiziert – Attila ist's wurstegal. Wichtig sind eh nur seine Texte, die oft typisch englisch ironisch, dann aber auch wieder von unverblümter und grober Sprachkraft sind. Ob dämlich blöde oder streng analytisch, Attila weiß alles besser und sagt es jedem, der den Fehler macht, ihm zuzuhören. Und dann geht es quer durch alle Ismen, über die schon Dutzende von Songs gemacht wurden: Hooliganismus, Thatcherismus, Rassismus, Sexismus, Imperialismus usw. Und natürlich macht sich Attila auch so seine Gedanken über den Anschluß der Ostgebiete: „It's that all that we were fighting for? Bananas and sex-shops, nothing more?“ Alte Männer und besonders Legenden haben oft Probleme, auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Attila immerhin gibt sich Mühe. Dafür ist er auch heute noch die bessere Alternative zu Django Edwards: witziger, intelligenter und ohne eingeklemmten Schwanz. Thomas Winkler
Heute, 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen