Sanssouci: Vorschlag
■ Das Himmelsschiff
Gen Himmel fliegen die klatschenden Hände des Publikums. Staunend schauen sie zum „Himmelsschiff“, das seine Reise zum Mars antritt. Der 1917 vom dänischen Regisseur Holger Madsen gedrehte, erste abendfüllende Science-fiction der Filmgeschichte ist Prunkstück und passend zum Thema „Science and Fiction“ Eröffnungsfilm des elften „interfilm-Festivals“.
Lange Jahre hatte der wildbärtige Astronom „Professor Planetarius“ an seinem genialen, propellerbetriebenen „Himmelsschiff“ gebastelt. Bösen Anfeindungen in verrauchten Astronomenversammlungen war er ausgesetzt. Verhöhnt und verspottet ward er von einem fiesen Gegenspieler. Doch unerschütterlich im Glauben an eine Wissenschaft, deren Fortschritt einen Gewinn an Humanität bedeutet, hält er an seiner Entdeckung fest und schickt auch den Sohnemann nach einem stärkenden Weinbrand mit auf die Reise.
Außen sieht die „Excelsior“ aus wie eine fliegende Zigarre; die Inneneinrichtung dagegen gleicht eher einem U-Boot. Die Besatzung ist in Klassen geteilt: Im düsteren Maschinenraum sitzt das Proletariat; auf der Kommandobrücke stehen aristokratische Wissenschaftler und bestimmen den Kurs. Erstere sind untersetzt und schmutzig, trinken Schnaps, kriegen irgendwann den Bordkoller und versuchen in Vorwegnahme der realen Matrosenaufstände zu meutern; letztere riskieren ihr Leben für die Wissenschaft und beten in kritischen Situationen. Auf dem Mars werden die Abenteuerwissenschaftler von somnambulen, pazifistischen Vegetariern freundlich empfangen. Doch die Erdenmenschen verhalten sich ungehörig und erschießen einen Vogel, um den Vegetariern ihre Lieblingsnahrung zu demonstrieren. Dann werfen sie mit Handgranaten um sich. Ein marsianischer Jüngling stirbt; die Erdlinge kommen ins Gefängnis, wo sie sich ihre Strafe sozusagen reformpädagogisch selbst ausdenken dürfen. Wie Lazarus steht später aber der Tote wieder auf und lebt.
Das Marsparadies, das von einer Priesterkaste platonisch beherrscht wird, besteht aus passivem Nichtstun. Hier gibt es weder Konflikte noch sexuelles Begehren, noch Arbeit, noch Geschichte; nur sektenhaften Frohsinn im Hier & Jetzt. Einige Zeit leben die Erdlinge voller Freuden in dieser positiv bewerteten „Brave New World“. Sehr erhaben und superpathetisch schreiten sie durch Kunstgärten, setzen sich unter „Traumbäume“ und vergleichen die unzureichenden irdischen Vergnügungen, die in kleinen Erinnerungssequenzen vorbeikommen (Rauchen, Trinken, Huren, Kartenspielen, Gemeinsein), mit der schönen Reinheit marsianischer Wonnen (erhaben umherschreiten). Vom Heimweh getrieben, als bessere Menschen (aus dem kommunistischen Aufrührer wird ein braver Bürger), doch nicht ohne Beute (eine Priestertochter wird geheiratet) fliegen sie zurück zur Erde. Zusammen mit Professor Planetarius, der sich während ihrer Abwesenheit fast zu Tode gegrämt hatte, beschließen sie, für bessere Verhältnisse zu sorgen. Detlef Kuhlbrodt
„Das Himmelsschiff“, heute abend, 20 Uhr in der Archenhold- Sternwarte, Alt-Treptow 1; Festivalvorschau folgt am Freitag.
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