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■ Anleitung zu Entdeckungsreisen in der Mark Brandenburg – Ein Lese-Wander-Buch

Gründe zum Ärgern hat man schon, wenn man das neue Buch von Joachim Berger über die nördliche und westliche Mark Brandenburg in die Hand nimmt. Das spricht aber nicht gegen das Buch, sondern ist ganz in seinem Sinne. Auf seinem Trip nördlich und östlich von Berlin suchte der Autor auch und gerade jüngst verwischte Spuren.

Man lese nur das kurze Kapitel zum „märkischen Wuppertal“. Gemeint ist damit die Gegend um Eberswalde, die auch das „rote Finowtal“ genannt wurde. Gedenktafeln sind in den letzten drei Jahren verschwunden. Die Eberswalder wollen wohl nicht mehr an den Sieg gegen die Kapp-Putschisten im März 1920 erinnert werden. Das Relief am Bahnhofsgebäude ist weg, ebenso einige Straßennamen. Die Erinnerung an den Sozialdemokraten Philipp Zopf mußte der an den alten Kaiser Wilhelm weichen. In seinem Buch „Mark Brandenburg freiheitlich & rebellisch“ weist Berger gemeinsam mit Gritt Ott, die für die Kapitel über Frauen verantwortlich ist, auf das hin, was man nicht mehr sieht, und sie rufen die wirklichen HeldInnen der märkischen Geschichte wieder ins Gedächtnis. Einige längst Vergessene der 1848er-Revolution werden beispielsweise vorgestellt. Und der Besuch der Kolonie Eden bei Oranienburg empfohlen. Es handelt sich hierbei um ein vor hundert Jahren gegründetes Obst-Paradies und genossenschaftliches Reformprojekt. Gerade in diesem Jahr haben sich wieder einige Leute zusammengeschlossen, um das Modell wiederzubeleben und dort eine alternative Lebensweise zu realisieren.

Von Bergers und Otts speziellem Blickwinkel aus betrachtet, werden sogar überlaufene Touristenplätze wieder interessant. Auf dem Friedhof des Klosters Chorin steht beispielsweise ein würfelförmiger Stein, der auf die Gräber von Margarethe und Max Taut aufmerksam macht. Die Geschichte dazu: Max Taut war, wie sein berühmterer Bruder Bruno, Architekt. Beide hat die Liebe nach Chorin geführt. In der Klosterschenke des Gustav Wollgast lernten die Taut-Brüder die sieben Wirtstöchter kennen. Bruno heiratete Hedwig, Max heiratete Margarete. Den Großstadtarchitekten war das Dorf mit Kloster ein gern aufgesuchtes Refugium.

Berger und Ott haben nicht nur ein Wander-, sondern auch ein Lesebuch geschrieben: Die kurzen Geschichten in der Länge von einer bis drei Seiten machen gerade wegen ihrer Knappheit darauf neugierig, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen.

Abbildung aus dem besprochenen Band

Als den Weber Liebenwald aus Bad Freienwalde 1628 plötzlich der Schlag traf, gaben die Nachbarn den Frauen im Haus die Schuld. Die alte Mutter Judith habe den bösen Blick, sie müsse „mit glühenden Zangen auf beiden Brüsten gezwickt“ werden und wie Anna Liebenwald durch das Feuer „vom Leben zum Tod gebracht“ werden. Am 18. August 1628 wurde Anna verbrannt. „Als Brandmal eurer ewigen Schande wird meine Asche einen mächtigen Lebensbaum gebären!“ soll sie ausgerufen haben. Seitdem heißt die Kiefer (sic!) nahe der Försterei Bodenseiche in Bad Freienwalde „Brandfichte“.

Warum zum Beispiel nicht nach Kyritz? Dort in der Gaststätte „Zum Prignitzer“ in der Maxim-Gorki-Straße 38 nahm die Bodenreform in der damals sowjetisch besetzten Zone ihren Anfang. KPD-Vorsitzender und zukünftiger Präsident Wilhelm Pieck verkündete „Junkerland in Bauernhand“. Was wäre wohl passiert, wenn die DDR den Bauern 15 Jahre später das Land nicht durch die Zwangskollektivierung wieder weggenommen hätte? Heute kommen die Söhne und Enkel der Junker und verlangen „ihr Land“ zurück. Wem gehört das Land?

Wer kennt Freyenstein? Dort ist im Pfarrhaus 1841 Theodore Wilhelmine Marie Cauer geboren. Als 1848 die Kunde von den Berliner Barrikadenkämpfen bis an die Prignitz drang, zog die Siebenjährige mit einer Freiheitsfahne durch die Straße. Später besuchte sie ein Pensionat für höhere Töchter in Wittstock, wurde Lehrerin und 1888 Vorsitzende des soeben gegründeten Vereins „Frauenwohl“, der sich vehement für das Frauen-Wahlrecht einsetzte. Fast vergessen ist diese Frauenrechtlerin, die auf dem Berliner St.-Matthäus-Friedhof in der Großgörschenstraße beerdigt ist. Sie hätte einen Straßennamen verdient, doch die Cauerstraße in Charlottenburg erinnert nur an ihren zweiten Mann, Eduard Cauer, den Begründer des ersten Gymnasiums in Charlottenburg.

Das Buch ist mit zahlreichen übersichtlichen Karten ausgestattet und reich bebildert – alles in allem ein bereichernder und wirklich anregender Wanderführer aus anderer Sicht. Jürgen Karwelat

Joachim Berger, „Mark Brandenburg, freiheitlich & rebellisch (Nord und Ost)“, Lese-Wander-Buch, 320 Seiten, 200 Abbildungen, 25 Karten, kartoniert, 19,80 DM, Goebel Verlag Berlin 1993.

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