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SanssouciVorschlag

■ „Busoni und der Blaue Engel“ – eine Friedhofsführung

Wer an Berlin denkt, dem fällt gewiß zuallerletzt das verschnarchte Friedenau ein, das so beharrlich mittelständisch bleibt wie sonst kein anderer Stadtteil in Berlin. Und doch haben gerade in diesem Viertel immer wieder Künstler ihre Zelte aufgeschlagen – von Erich Kästner über Max Frisch und Uwe Johnson bis hin zu Günter Grass reicht die Liste von Friedenaus prominentesten Mietern. Und weil viele der Literaten, Maler und Musiker hier nicht nur residieren, sondern auch unter die Erde wollten, ist aus dem Friedhof in der FriedenauerFoto: Nico Schmidt/transit

Stubenrauchstraße mittlerweile ein kleiner „Künstlerfriedhof“ geworden. Zwischen Wohnhäusern, flankiert von einem Sportplatz und der Stadtautobahn, warten sie hier unter 500 alten Bäumen auf den Jüngsten Tag.

Trotz der vielen Prominenz, die in Friedenau herumliegt, ist der Rundgang auf dem Friedhof, den das Kultur Büro Berlin unter fachkundiger Leitung derzeit veranstaltet, mehr als bloß andächtiger Künstler-Kult. Denn en passant läßt sich bei einem solchen Grab-Spaziergang ein Stück Friedenauer Lokal- und Sozialgeschichte rekonstruieren. Daß Friedenau 1871 als privilegierte Vorstadtgemeinde gegründet wurde, in die die Bauherren saturierte Mieter mit dem Versprechen lockten, hier keine Mietskasernen hochzuziehen, prägt nämlich nicht nur das Straßenbild des Viertels, sondern bestimmt auch die Kandidaten für den Friedhof: Oberpostrat, Königlicher Hofuhrmacher, Kommerzienrat, Schiffsarzt, Apotheker oder Aquariumsdirektor, das muß man schon gewesen sein, wenn man hier begraben liegt.

Kunsthistorisch von Interesse ist das Grabmal des italienischen Komponisten Ferrucio Busoni, das der preußische Staat 1925 trotz leerer Kassen bei dem Bildhauer Georg Kolbe in Auftrag gab. Neben Kriegsgräbern stoßen wir dann ein paar Schritte weiter auf die Spuren nationalsozialistischer „Kultur“-Politik: Die jüdische Schriftstellerin und Emigrantin Dinah Nelken und der Arbeiterdichter Paul Zech liegen hier in Friedenau. Promi- Höhepunkt auf dem Friedhof ist freilich das nach der Schändung am Sonntag wieder gesäuberte Grab von Marlene Dietrich, die in der Nähe ihrer Mutter Josefine von Losch begraben werden wollte. Ein schlichter schwarzer Granit und davor die Rosen des Senats erinnern derzeit an Marlene, die am Montag 92 geworden wäre. Andrea Kern

Friedhofsführung „Busoni und der Blaue Engel“ vom Kultur Büro Berlin, heute, 13 Uhr, Stubenrauchstraße 43, Friedenau.

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