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SanssouciVorschlag

■ Tschechows „Der Bär“ im Theater Zerbrochene Fenster

Der Gast im Salon kann nicht ins Schlafzimmer gucken. Er weiß nicht, daß die engelsmilde, stickende Dame ihm gegenüber sich kurz vorher noch wie eine Wilde an Fitnessgeräten ausgetobt hat. Die Zuschauer, die durch die Wand aus schwarzer Gaze hindurchsehen können, wissen dagegen Bescheid über das Temperament der Gutsbesitzerin Popova (Sheri Hagen). Zwischen Hanteln und Reck ist das gipserne Ebenbild des verstorbenen Popov aufgestellt, um den seine Witwe ewig trauern will – gerade weil er ein so schlechter Ehemann war. Das Feuer der scheinbar sanften Schönheit lernt Gast Smirnov erst kennen und lieben, als die beiden schon aufeinander schießen.

Smirnov (Utz Krause) ist ein Mann, wie ihn der weibische Diener Luka (Rita Scholl) lauthals herbeigewünscht hat. Im wiegenden Cowboyschritt kommt er herein, zur Musik von „Spiel mir das Lied vom Tod“, die Zigarette lässig im Mundwinkel. Nur der Schein eines Streichholzes erleuchtet die männliche Stoppelfräse, die zu seiner serienmäßigen Grundausstattung gehört. Schnell pirscht sich Luka mit einem Sortiment Duftwässerchen heran. Als er dem jähzornigen Gast auf die Nerven zu gehen beginnt, hängt der ihn kurzerhand an einen Nagel.

Der Held von Tschechows Einakter „Der Bär“ kennt die Frauen, „diese sogenannten poetischen Wesen“, gut genug, um sie herzlich zu verabscheuen. Darum eben führt er sich auf wie ein Bär – sein Grimm ist sein Schutzschild gegen den Charme von Grübchen und Mondschein. Schließlich will er sich nicht verlieben, sondern bloß Schulden eintreiben. „Frauen sind zänkisch, verlogen, eitel, unbeständig!“ pöbelt Smirnov die Popova an. Bei ihr aber ist er an die Falsche geraten, die feurige Witwe gibt ihm retour, auch wenn er vor Wut Nüsse mit der bloßen Hand zerdrückt. Die Redeschlacht der beiden Dickköpfe und ihr tragisches Ende gehören zum Komischsten, was Tschechow geschrieben hat. Bei der unglaublich witzigen und gut gespielten Inszenierung im „Theater Zerbrochene Fenster“ unter der Regie von Falk Walter kommt man aus dem Lachen kaum noch heraus – vor allem wenn mittendrin plötzlich eine süßliche Fanfare erklingt: „Werbung!“

Die Aufführung wird nämlich durch einen Werbespot für Gauloises Blondes teilfinanziert. Darin befreit sich ein Macho, der nur aus Trotz so geworden ist, von seinen Allüren und gewinnt eine schöne, etwas dickköpfige Frau. Tja, wenn Tschechows Paar nur die richtigen Zigaretten geraucht hätte... „Seit ich Gauloises rauche, werde ich von den anderen irgendwie viel mehr akzeptiert“, erkennt des Ex-Machos besseres, sozialpädagogisches Ich. Das Publikum tobte vor Begeisterung. Und hinterher grübelte einer laut: „Es geht doch. Warum machen die so 'ne gute Werbung nicht mal im Kino?“ Miriam Hoffmeyer

Bis 14.3., donnerstags bis montags, 20.30 Uhr im Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße 16 (Kreuzberg), 694 24 00

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