Sanssouci: Vorschlag
■ Sommer in der Stabi: Verliebte grenzen Laptop-Benutzer aus!
Kühles Liebesnest Staatsbibliothek Foto: Poly-Press
Ist das bei Ihnen mit den Pfauenaugen auch so schlimm, diesen Sommer? Ob die zarten Falter ungewöhnlich tolpatschig oder einfach nur besonders zahlreich anzutreffen sind – sie verhindern jedenfalls durch ihr permanentes Geflattere jede konzentrierte Besinnung auf zusammenhängende Buchstabenfolgen. Bei geschlossenem Fenster ist die Hitze naturgemäß nicht zu ertragen, und so entschließt man sich also, den Laptop unterm Arm, eine öffentliche Denkanstalt aufzusuchen: die Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße.
Der erste Eindruck ist umwerfend: diese Kühle! Man wird umweht von einem Wind, der den Geist beim ersten Schritt erfrischt. Und Ruhe ist, und Weite, die abseitigsten und verschlungensten Gedanken scheinen hier möglich. Leider wissen das sehr viele, und schon kurz nach der Öffnung um neun werden die Sitzplätze knapp. Vor allem in der Laptop-Abteilung. Diese Tischgruppe liegt direkt an der Treppe, weit von jedem Fenster entfernt. Wohl fühlt man sich nicht an diesem häßlichen Ort: es klappert und fiept, und manche der Kleincomputer geben Geräusche von sich, die wie gestöhntes Sausen klingen. Außerdem sind Laptop-Benutzer irgendwie komische Leute. In der Regel unkonzentriert, starren sie in die Luft oder dem Denkenden gegenüber auf die Nase, oder sie vergleichen die verschiedenen Notebook-Modelle. Aber wehe, man setzt sich mit seinem Laptop an einen Tisch, der nicht dafür vorgesehen ist, vielleicht ans Fenster sogar, neben einen der beruhigenden Palmentöpfe – da werden einem die giftigsten Blicke zugeworfen, und sogar das sonst so streng beachtete Sprechverbot wird zu Zwecken wüster Beschimpfungen gegen den Laptop-Benutzer gern gebrochen.
Als wenn sich nicht Schlimmeres denken ließe! Küssen zum Beispiel. Es scheint unter Liebespaaren üblich geworden, die Ferien in der Staatsbibliothek zu verbringen – eine Praxis, die ich an dieser Stelle scharf verurteilen möchte. Ich frage mich, wer da denken soll. Es ist ein schier unentwegtes Haare-Streicheln, händchenhaltend Durch-die-Regale-Streifen oder Schreibtische-zwecks-„Füßelns“-Zusammenschieben, daß es eine Schande ist. Und da beschweren sich manche über vereinzeltes Tastenklappern! Auf einer Party beichtete mir kürzlich ein dünnbeiniger Medizinstudent, ein abgelegener Gang zwischen Bücherregalen und unter einem chinesisch anmutenden, spitzen Pergamentdach diene ihm und seiner Freundin als bevorzugter, nun ja, Beischlafort. Die Atmosphäre sei einmalig. So gesetzt, gelehrig, dunkel, ruhig – wenn nur das Klappern der Laptop-Tasten nicht wäre... Volker Weidermann
Staatsbibliothek, Mo.–Fr. 9–21, Sa. 9–17 Uhr, Potsdamer Straße 33–37, Tiergarten
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