Sanssouci: Vorschlag
■ Aus dem Totenreich: Charla Drops und Luna Luder im Unart
Ein paar Stockwerke unter dem Keller liegt die Unterwelt. Deshalb muß in der Tanz- und Theater-Groteske „Rühr meine Urne um“ von Charla Drops und Luna Luder so oft die Treppen heruntergerannt werden. Die beiden Komikerinnen haben sich im Reich der „Verschiedenen“ umgesehen und sind den dortigen Verlockungen erlegen. Um Unart wird die Totenmesse als Auferstehungsfeier zelebriert.
Die zehn Kapitel aus dem Schattenreich entbehren nicht der Poesie. Ein Märtyrer, von Pfeilen durchbohrt, durchlebt die Mimik des Leidens. Er geht in seiner Rolle auf, bis man neue Geschosse heranfliegen und ihn treffen hört. Sie scheinen nicht spitz zu sein, sondern mit Saugnäpfen versehen. Die Leidens-Show wird durchschaut, alles ist Theater. Auch in der Unterwelt folgt ein Akt auf den anderen: Tote werden von sinnlosen Anweisungen gezwungen, „in sich zu gehen“, Frischgestorbene werden von Figuren, die sich in einem weiter fortgeschrittenen Verwesungsstadium befinden, angemacht; Teufel verlieren alle Hemmungen, und im Spielzeugladen der Hölle tanzen sich Puppen in die Ekstase der Tabulosigkeit. Bilder, die einem Werbekatalog der Surrealisten entnommen worden sein könnten, verstärken den außerirdischen Eindruck. Links der Kopf, in der Mitte die Beine, rechts die Schlinge. Im Jenseits erhängt man sich horizontal.
Eine überdimensionale Fliege, die sich als Botin zwischen dem Hier und dem Dort anbietet, und ein riesiges Auge, das die Unmoral der Unterwelt nicht wohlwollend betrachtet, werden zu Momentaufnahmen der Ewigkeit. Einen Höhepunkt setzt Luna Luder alias Eva Hass als dozierende Ratte mit basedowschen Augen. Mit einem langen, jeden Sinn entbehrenden Vortrag über die These von der maximalen Winzigkeit des Jenseits gelingt es ihr, das Publikum zu fesseln.
Ob Charla Drops, die Mimin der herunterhängenden Mundwinkel, und Eva Hass, die Frau mit den vielen Namen, es wollen oder nicht, das Stück hat einen Rest diesseitiger Moral, denn der Tod wird als Niederlage schlechthin angesehen. Die Toten versuchen trotz der widrigen Umstände ihre Würde zu bewahren. Sie machen gute Miene zum bösen Spiel, bis sich nach der Pause eine Verschiedene endgültig von ihrem Kopf, den sie unter ihrem Arm trägt, trennt: „aus reiner Selbstverwirklichung“. Im Unart kann man lernen, das Ende zu überwinden. Das Refugium in der Oranienstraße lebt trotz allen ökonomischen Drucks vom Durchhaltewillen der beiden Lebenskünstlerinnen. Ein Platz in der Nachwelt dürfte ihnen sicher sein. Waltraud Schwab
Bis 9. 9., Mi.–Sa. 21 Uhr, Unart, Oranienstraße 163
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