Sanssouci: Vorschlag
■ Die Literaturwerkstatt auf der Suche nach Fußball und Poesie
Diskurs-Pop, diesmal vom AC Mailand Foto: Archiv
Autonomenblöcke in der Fankurve, linke Clubs – in Deutschland, wo eher Fußball und rechte Gesinnung zusammengedacht werden, fällt einem da allenfalls der FC St. Pauli ein. Anders in Italien. Man kann „sagen daß das Stadion für uns ein wenig das Training für die Guerilla war um sie dann später '77 in die Stadt zu tragen“, hören wir eine Stimme in Nanni Balestrinis Roman „I Furiosi. Die Wütenden“ (Edition ID-Archiv). „Ausgangsmaterial sind Interviews mit Fußballfans, Ultras der rotschwarzen Brigaden des AC Mailand. Doch Balestrini betreibt nicht oral history... Der Autor läßt die Stimmen ineinanderlaufen, sich überlagern, sich widersprechen. Er montiert virtuos die Erzählungen von blutigen Schlägereien, von Überfällen auf Autobahnraststätten, Drogenexzessen in stinkenden Sonderzügen, Polizeibrutalität... Balestrini hat nicht die Absicht, Orientierung zu geben oder Trost zu spenden. Er läßt den Leser mit den Stimmen von den Rändern der Städte allein.“ (Christoph Biermann, taz, 28. 10. 95)
Balestrinis Interesse gilt weniger dem Fußball als der Kombination von Linksradikalität und literarischer Avantgarde. Keine beliebte Mischung: 1979 mußte der heute 60jährige ins Exil nach Paris flüchten, nachdem ihm als angeblichem Mitglied einer terroristischen Vereinigung 19 Morde zur Last gelegt wurden. Erst fünf Jahre später wurde der Haftbefehl aufgehoben. Auch für sein neues Buch erntete er reichlich Kritik für seine unverhohlenen Sympathien: Von den Gewaltphantasien seiner Protagonisten habe er sich nicht ausreichend distanziert, so der Vorwurf.
Nicht mit physischer Gewalt, sondern der von Sprache beschäftigt sich der Wiener Lyriker und Essayist Ferdinand Schmatz („speise gedichte“). „Sprache Macht Gewalt. Stich- Wörter zu einem Fragment des Gemeinen“ heißt sein zuletzt erschienenes Buch. Die Sprache der Diktatur ist eine, „die niemand liest, weil jene, die sie sprechen, diese auswendig können (müssen)“. Dichten heißt „nicht zu beschreiben, sondern den vorgegebenen Beschreibungsmustern zu entkommen“. Der linksradikale Dokumentator und der radikale Avantgardist mit Wiener-Gruppen-Hintergrund: zwei ziemlich disparate Positionen. Prügeln werden sie sich wohl nicht. Jörg Häntzschel
Nanni Balestrini und Ferdinand Schmatz. Lesung und Gespräch. 20 Uhr, Literaturwerkstatt, Majakowskiring 46–48, Pankow
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