Sanssouci: Vorschlag
■ Traurige Männer, böse Hunde: Das Lo-Fi-Festival im Knaack
Bis heute streiten sich die Experten darüber, was sich hinter dem rostig schillernden Begriff „Lo-Fi“ eigentlich verbirgt. Eine Jugendbewegung gegen Techno und Europop? Die Schnittmenge aller Bands, die mangels Plattenvertrag ihre Songs im heimischen Badezimmer aufnehmen? Oder nur ein weiterer Trick der Industrie? Vielleicht gibt ja das heutige zweite Berliner Lo-Fi-Festival Aufschluß.
Keinesfalls versäumen sollte man Simon Joyner aus Nebraska. Denn der hat neben seinem nasalen Timbre nach Art der Violent Femmes das im Gepäck, was uns schon immer in die Arme der traurigen Singer/Songwriter trieb: eine unspektakuläre Akustikgitarre und ein Dutzend grandioser Geschichten über böse schwarze Hunde, den kalten Nordwind und die rätselhafte Catherine, die über fünf Ecken mit Leonard Cohens Suzanne verwandt ist. Etwas schrammeliger kommt Plover, die Band des Birdskin-Bassisten Peter Deuteweert, daher. Zwar dominieren hier ebenfalls reduzierte Songstrukturen, sparsame Instrumentierung und melancholischer Gesang, doch die Reise geht eher in Richtung der amerikanischen Minimalrocker Guided By Voices.
Auch Gitbox! aus Minneapolis beackern das weite Feld voller Einsamkeiten. Als sie beim Fast-Forward-Festival in Nijmegen ihre neue Platte mit dem enigmatischen Titel „Our Lady from the Highway“ vorstellten, waren die neuen Fans schwer begeistert: „Wunderwunderschön“ (Visions); „Das Album hat in seiner Einfachheit den Mehrwert des unbestimmten Gefühls“ (Westzeit). Und da ist was dran: Rumpelnde Bässe, knarzige Gitarren, trauriges Piano. All das ist sehr erfreulich, selbst wenn Gitbox!, verglichen mit dem ebenfalls auftretenden Lo-Fi-Veteranen Joost Visser, schon bedenklich glatt rüberkommen. Der ist schon seit sieben Jahren in diesem unrentablen Geschäft und gilt als Vertreter der alten Schule, deren Exponenten Beck und die Mountain Goats sind. Sehr viel kantiger wird er ganz im Sinne der genialen Dilettanten die heftigere Seite dieses Genres ausleuchten. Gunnar Lützow
Lo-Fi-Festival mit Simon Joyner, Plover, Gitbox! und Joost Visser, heute, 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224
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