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Vornehme Zurückhaltung oder Einmischung?

■ In der Diskussion um die Einflußnahme in Ost-Berlin überläßt die Linke das Feld dem politischen Gegner / Verzicht auf Kooperation schadet Berlin

Der Vorschlag von Schwierzina und Momper, durch eine Personalunion einzelner SenatorInnen und StadträtInnen die Verwaltung der beiden Berlins schon vor Gesamtberliner Wahlen zu vereinheitlichen, hat in der AL die Diskussion über die Form der Einmischung hochgepuscht.

Während die Konservativen (und auch einige Bundesländer) keinerlei Hemmungen zeigen, ihre Gestaltungswünsche massiv durchzusetzen, übt die Linke sich in Zurückhaltung. Sie will den Prozeß der Vereinheitlichung, der ohnehin von einem geregelten Zusammenwachsen in unkontrolliertes Zusammenwuchern übergegangen ist, nicht mitverantworten. Damit überlassen wir aber in der Tat den politischen Gegnern das Feld und verzichten ohne Not auf positive Mitgestaltungsmöglichkeiten, die aber nicht Bevormundung sein sollen, sondern Einbringen unserer Erfahrungen in die notwendige Neugestaltung des Bildungswesens im Ostteil der Stadt. Tatsachen, die jetzt geschaffen werden, stellen bildungspolitische Weichen für ein zukünftiges Bundesland Berlin, in dem zwei unterschiedliche Bildungssysteme zusammengeführt werden müssen. Eine solche Aufgabe kommt auf kein anderes bestehendes oder zukünftiges Bundesland zu. Deshalb stellen sich für Berlin jetzt besondere Anforderungen, die Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Diese lassen kein Abwarten mehr zu, sondern machen politisches Handeln notwendig.

Ein Beispiel: Im Ostteil der Stadt gibt es 29 sogenannte „R -Schulen“, Polytechnische Oberschulen mit der Fremdsprache Russisch ab der 3. Klasse. Einige dieser Schulen wollen ein verstärktes Fremdsprachenangebot verwirklichen, indem sie Extraklassen bilden und in der 5. Jahrgangsstufe die zweite und in der 7. die dritte Fremdsprache anbieten. Mit dieser äußeren Leistungsdifferenzierung wird die einheitliche Grundschule aufgelöst.

Bei der derzeit massiven Einflußnahme ist zu befürchten, daß diese R-Schulen in (grundständige) Gymnasien umgewandelt und damit entscheidende Weichen für ein gegliedertes Schulwesen gestellt werden, das mit seiner sozialen Auslesefunktion undemokratische Züge trägt. Durch die Öffnung der Grenzen sind die über 40 Jahre zentral verordneten und zur Gewohnheit gewordenen Strukturen, Methoden und Inhalte im DDR-Bildungssystem ins Wanken geraten. Dadurch sind Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen verunsichert. Sie sind in der allgemeinen Orientierungslosigkeit geneigt, alles Bisherige abzulehnen und sich an bundesrepublikanischen Vorbildern zu orientieren. Die negativen Erfahrungen mit der DDR -Einheitsschule haben jetzt umgekehrt zur Folge, daß nahezu unhinterfragt jede (Leistungs-)Differenzierung akzeptiert wird, auch wenn sie schon nach der 2. Klasse beginnt. Dabei wird übersehen, daß zum Beispiel 8,4 Prozent aller 15jährigen Jugendlichen das gegliederte Schulsystem ohne Hauptschulabschluß, nahezu 30 Prozent ohne mittleren Schulabschluß verlassen.

Der Wunsch nach Schulvielfalt in der DDR mag verständlich sein, aber das gegliederte Schulwesen bedeutet auch soziale Ausgrenzung und widerspricht unseren Bestrebungen nach einer möglichst langen gemeinsamen Schule. Berlin braucht ein fortschrittliches Schulsystem. Wir wollen eine Schule ohne Ausgrenzung, eine Schule für alle, in der die einzelnen SchülerInnen ihre individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten optimal entfalten können und die eine multikulturelle und ökologische Grundbildung vermittelt. Deshalb müssen in der DDR die Kräfte unterstützt werden, die eine solche Schule wollen.

Bildungspolitische Zeichen zu setzen für eine fortschrittliche Entwicklung des Bildungswesens, duldet keinen Aufschub. Wenn wir hier zum Beispiel den qualitativen und quantitativen Ausbau der Gesamtschule fordern, dann ist es konsequent, alle vergleichbaren Tendenzen im Ostteil der Stadt zu unterstützen und auf gegenläufige Trends Einfluß zu nehmen. Geschieht das nicht, so hat das fatale Auswirkungen auf die Entwicklung des Schulsystems in der künftigen Gesamtstadt.

Wenn wir uns in den Neugestaltungsprozeß der DDR einmischen, dann wollen wir nicht das westliche System exportieren. Aber alles, was jetzt im Ostteil der Stadt entsteht, trägt mit dem Zusammenfügen der beiden Teilstädte zum Schulsystem des zukünftigen Bundeslandes Berlin bei. Es kann der AL nicht gleichgültig sein, wer jetzt die Züge in welche Richtung lenkt. Derzeit wird die Vereinigung der beiden Stadthälften weitgehend über die Exekutive geregelt ob uns das nun paßt oder nicht. Deshalb muß die Chance eines von der AL gestellten Senatsressorts genutzt und erhalten werden. Dieses bietet Möglichkeiten zukunftsweisender Weichenstellungen durch enge Kooperation mit den reformpädagogisch orientierten Kräften in der DDR. Ich bezweifle, daß der Verzicht auf eine solche Kooperation dem künftigen Land Berlin zuträglich ist und von der AL wirklich gewünscht wird.

Sybille Volkholz (AL), Senatorin für Schule und Spor

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