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„Vorgefertigte Siegesmeldungen“

Manfred Stolpe beharrt auch im Gespräch mit der Bürgerbewegung darauf, kein Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein/ Das Streitgespräch in der Berliner Gethsemane-Kirche brachte keine Klärung  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Für Manfred Stolpe ist alles klar: Wer sich zum Wohle der Menschen mit der Geheimpolizei einläßt, der muß sich zumindestens teilweise auf deren Methoden einlassen. Dieses Bekenntnis, am Samstag abend von Brandenburgs Ministerpräsidenten in der Ostberliner Gethsemanekirche ausgesprochen, hätte vor zweieinhalb Jahren an gleicher Stelle warscheinlich noch heftigen Widerspruch ausgelöst. Doch vieles hat sich seit der Wende verändert; die für die Bürgerbewegung einst so wichtige Kirche verlor ihre Besucher, Gottesdienste werden oft in einem kleineren Nebensaal abgehalten — es ist erst die Auseinandersetzung um Stolpes Vergangenheit, die den symbolträchtigen Ort, eine der Keimzellen der DDR-Opposition, wieder mit Leben füllt. Eingeladen hatte das Neue Forum Berlin.

Rhetorisch gewandt weist Stolpe dezidierte Vorwürfe zurück, etwa die des früheren Stasi-Auflösers Reinhard Schult. Schult, für das Neue Forum im Berliner Abgeordnetenhaus, hatte Stolpe Stasi-Einsatzpläne vorgehalten, aus denen hervorgeht, welch wichtige Funktion der Kirchenmann bei der Beeinflussung der Kirche gehabt haben muß. Über Inhalt und Aussagekraft solcher Einsatzpläne will Stolpe aber nicht diskutieren. Er beharrt darauf, über „reale Vorgänge“ und nicht über „vorgefertigte Siegesmeldungen, die bekanntlich nicht aufgegangen sind“ zu sprechen. Reale Vorgänge werden während der zweieinhalbstündigen Podiumsdiskussion aber auch nicht offengelegt.

Stolpe bekräftigt seine Verteidigungslinie, wonach er nie mit eigenem Wissen als IM geführt wurde. Eine Mehrheit im Publikum — überwiegend Kirchenmänner, Politiker und Bürgerbewegte — ist bereit, seinen Argumenten zu folgen. Als der Bürgerrechtler Sebastian Pflugbeil den Ministerpräsidenten auffordert, wenigtens ein Beispiel für den „Effekt“ seiner vielfältigen Kontakte zur Staatssicherheit darzulegen, kontert Stolpe mit der Bemerkung, Pflugbeil setze lediglich „die Linie fort, daß das, was der IM Sekretär war, automatisch die Person Stolpe gewesen ist“. Applaus auf der einen und einige Buhrufe auf der anderen Seite. Auf der Empore wird ein Transparent mit den Worten „Manfred Stolpe bleib“ hochgehalten.

Der frühere Leiter des Sekretariats beim Evangelischen Kirchenbund inszeniert seine Verteidigungsstrategie souverän. Schon sein Auftreten strahlt Selbstbewußtsein aus: Dunkelblauer Anzug, hellblaues Hemd und eine dunkelrote, gestreifte Krawatte — ein in den letzten Tagen auch in Fernsehinterviews gezeigtes Stück intelligenten Product- Placements, das durch ein selbstsicheres Lächeln unterstrichen wird — auch wenn es manchmal etwas deplaciert wirkt.

Der Politiker Stolpe weiß konkreten Anschuldigungen auszuweichen: Dem Vorwurf, als „IM Sekretär“ einen besonderen Quellenschutz genossen zu haben, hält er schlicht entgegen, keine Berichte diktiert zu haben und auch nicht deren Autor gewesen zu sein — zu keiner Zeit habe er kircheninterne Unterlagen an den Geheimdienst übergeben. Weitere Nachfragen unterbindet er: Hätte er geahnt, daß derartig detaillierte Fragen eine Rolle spielten, dann hätte er die Unterlagen, den 600seitigen Bericht der Gauck-Behörde, zu seiner Entlastung mitgebracht. Als ob Stolpe nicht wüßte, was ihm seit Wochen und Tagen vorgehalten wird.

In seiner Verteidigung bleibt der Ministerpräsident einige Antworten schuldig. Nicht erklären kann er etwa, warum er mit vergleichsweise rangniedrigen Stasi-Mitarbeitern zusammengearbeitet hat. Kirchenpolitik, so Reinhard Schult, war bei der Stasi Chefsache. Stolpe hätte sich logischerweise an Stasi-Obere wenden müssen, nicht an kleine Führungsoffiziere. Stolpes Gegenargument: „Daß diese Leute etwas bewegen konnten, war für mich entscheidend — da das möglich war, war mir klar, daß ich an einer sinnvollen Adresse war.“

Letztlich ungeklärt bleibt auch die Frage, mit welcher kirchlicher Legitimation Stolpe seine vielfältigen Kontakte unterhalten hat. Der Ministerpräsident verweist auf eine Generalvollmacht des Kirchenbundes, die er für die „Erledigung schwieriger Fälle“ erhalten hat und die alle vier Jahre, zuletzt 1986, erneuert wurde. Ob mit dieser aber auch die konspirativen Treffen sanktioniert waren, bleibt offen. Fragen, warum er sich in konspirativen Wohungen mit Offizieren der Stasi getroffen hat, tritt Stolpe wiederum mit der Erklärung entgegen, er habe „etwas bewegen wollen“. Im Rahmen seiner Bemühungen habe er Stasi-Mitarbeiter selbst im eigenen Haus empfangen.

Ins Leere läuft auch Pfarrer Rudi Pahnke, der aus den Zuschauerreihen heraus von Stolpe eine Erklärung dafür fordert, warum er in den Stasi- Akten unter der Quellenangabe „IM Sekretär“ nachlesen mußte, „daß es gelungen ist, mich und Pfarrer Eppelmann unter Kontrolle zu stellen“ und daß er in der Auseinandersetzung um die Einführung eines sozialen Friedensdienstes „neutralisiert“ worden sei. Stolpes harsche Antwort: „Was haben sie eigentlich für eine abenteuerliche Vorstellung von dem, was wir gemacht haben?“

Dieses Wörtchen „wir“ wird in den nächsten Tagen für neue Schlagzeilen sorgen. Stolpe kündigte für die nächsten Tagen eine „Offensive“ an. Bis spätestens zum 1. Mai will er drei oder vier seiner acht kirchlichen Mitstreiter der Öffentlichkeit vorstellen, die von seinen Kontakte zur Stasi gewußt hätten und mit denen er gemeinsame Strategien im Umgang mit ihr abgestimmt haben will.

Das härteste Urteil fällt an diesem Abend auf dem Podium die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley: Stolpe, „ein Vertreter der alten, konspirativen Machtpolitik“, habe in der Vergangenheit „die freie Entwicklung einer wirklichen Opposition geschwächt“. Applaus und Empörung folgen auf der Stelle — wie ein Beweis für Bohleys Einschätzung, daß sich an Stolpe nicht nur die Bürgerbewegung, sondern die ganze Nation trennt.

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