: Vorfahrt für die deutschen Opfer
■ Die Bundesregierung verschleppt systematisch eine längst fällige deutsch-tschechische Aussöhnung
Bonn (taz) – Eine Verhinderungsgemeinschaft von CSU und Vertriebenenverbänden droht die vorläufig letzte Chance einer Verständigung mit der Tschechischen Republik zu torpedieren. Politiker aus Bonn und Prag verhandeln gegenwärtig über eine gemeinsame Erklärung beider Parlamente und eine gemeinsame Stiftung, aus der tschechische NS- Opfer und Härtefallschicksale von Vertriebenen entschädigt werden. Morgen trifft Außenminister Kinkel in dieser Angelegenheit seinen tschechischen Kollegen Josef Zieleniec. Der SPD-Abgeordnete Peter Glotz bezeichnete gegenüber der taz die Chancen einer Einigung der Unterhändler vor den im Frühjahr in Prag anstehenden Wahlen als „sehr gering“. Damit wäre die Chance einer Verständigung der Nachbarstaaten über ihre gemeinsame Vergangenheit vertan.
Die tschechische Seite fordert einen Verzicht auf alte Eigentumsansprüche der Vertriebenen. Obwohl deren materielle Forderungen somit nicht durchzusetzen sind, hat Bonn seine eigene Bereitschaft zur Entschädigung der NS-Opfer immer wieder an diese Forderung gekoppelt. Prag soll sich zudem in der gemeinsamen Erklärung von den Vertreibungsbestimmungen der Beneš-Dekrete und dem Amnestiegesetz der Nachkriegstschechoslowakei distanzieren. Je näher aber die tschechischen Wahlen rücken, um so unwahrscheinlicher wird ein solcher in Prag innenpolitisch höchst umstrittener Schritt. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft verlangte von Außenminister Kinkel, die Idee einer gemeinsamen Erklärung vor den Wahlen fallenzulassen. Auch CSU- Politiker haben sich diese Forderung zu eigen gemacht. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Karsten Voigt, sagte der taz, die Regierung habe die Beziehungen zu Prag zu lange schleifen lassen und riskiert, daß nun die tschechischen Wahlen die Verhandlungen belasten. Voigt kritisierte die „Rücksichtnahme des Kanzleramtes auf Bayern und Teile der Sudetendeutschen Verbände“.
Der ehemalige tschechische Ministerpräsident Petr Pithart warf der Bonner Regierung im taz-Interview vor, sie habe den Unterschied zwischen den offiziellen deutschen Forderungen und denen der Sudetendeutschen in der tschechischen Öffentlichkeit bis heute nicht klargestellt. Als ein Haupthindernis der Verständigung nannte der Ex-Bürgerrechtler das Bonner Versäumnis, die tschechischen NS-Opfer nicht schon lange entschädigt zu haben – unabhängig von der nun anstehenden Vereinbarung. Hans Monath
Tagesthema Seite 3
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