: Vorerst keine Wiederaufnahme der Hilfslieferungen in Ostbosnien
■ UN-Hochkommissarin Ogata weist Kritik an der Einstellung der Hilfskonvois zurück/ Lieferungen seien politisch mißbraucht worden
Genf (taz) – Das Flüchtlingshochkommissariat der UNO (UNHCR) in Genf hat die von verschiedener Seite geäußerte Kritik an der vorläufigen Einstellung fast sämtlicher Hilfslieferungen für die notleidende Bevölkerung in Bosnien gestern entschieden zurückgewiesen. In einem Interview mit der taz erklärte UNHCR- Sprecherin Christiane Berthiaume, Hochkommissarin Sadako Ogata sei es „endgültig leid gewesen, daß die humanitären Maßnahmen aus politischen Gründen behindert werden“. Ogata hatte die Entscheidung zur vorläufigen Einstellung der meisten Hilfsoperationen am Mittwoch abend bekanntgeben. Zur Begründung führte sie an, der humanitäre Auftrag der UNO sei „zum Gespött der politischen Führer aller drei bosnischen Kriegsparteien“ geworden. Im einzelnen verfügte Ogata den Rückzug aller UNHCR-Konvois aus Ostbosnien, wo serbische Truppen seit nunmehr über einer Woche zwei Hilfskonvois blockieren, die für die Städte Goražde und Cerska bestimmt sind.
Eingestellt wurden auch Hilfsflüge und Landtransporte in die Hauptstadt Sarajevo. Hier verhindern die Behörden auf Weisung der Regierung des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović seit einer Woche, daß Hilfsgüter an die Bevölkerung verteilt werden. Nach Auskunft von UNHCR-Sprecherin Berthiaume lagern in Sarajevo inzwischen über 2.500 Tonnen Nahrungsmittel. Die Regierung will die Verteilung an die Bevölkerung der Stadt erst wieder erlauben, wenn die Serben die Blockade der Hilfskonvois in Ostbosnien aufgeben. 15 der 17 in Sarajevo stationierten UNHCR-MitarbeiterInnen sollen vorläufig abgezogen werden. Auch in Regionen, in denen laut Ogata kroatische Truppen die Hilfslieferungen an notleidende Menschen verhindern, wurden die UNHCR-Operationen zunächst eingestellt. Fortgesetzt wird die Arbeit des UNHCR nur in einigen kleineren Gebieten Zentralbosniens.
„Ich bedauere zutiefst, daß das Verhalten der bosnischen Parteien mich dazu zwingt, eine solche Entscheidung zu treffen“, hatte Ogata am Mittwoch abend erklärt. Von westlicher wie russischer Seite geäußerte Vorwürfe, die Flüchtlingskommissarin habe sich Kompetenzen des Sicherheitsrates angemaßt, wies ihre Sprecherin zurück. Die Flüchtlingskommissarin habe ihre Entscheidung nach ausführlichen Beratungen mit mehreren Regierungen und einem langen Telefonat mit UNO-Vermittler Cyrus Vance am Dienstag abend getroffen. Es handele sich um eine „operative Entscheidung“ mit dem Ziel, die Wiederaufnahme der Hilfslieferungen zu ermöglichen. Allein verbale Garatieerklärungen reichten „nach all den gebrochenen Versprechen der Vergangenheit nicht mehr aus“, erklärte Berthiaume. Wir wollen Taten sehen. Die Sprecherin machte deutlich, daß das UNHCR die Serben als „die Hauptschuldigen an der eingetretenen Entwicklung sieht. Mit der Frage „Wer erpreßt hier wen?“ wies sie zugleich den von Präsident Izetbegović und dem bosnischen Vizepremier Zlatko Lagundzija geäußerten Vorwurf, Ogatas Entscheidung sei „eine Erpressung der Hungernden durch die Wohlgenährten“, scharf zurück. Die Verfügung der Regierung zum Stopp der Hilfsgüterverteilung sei „töricht und kontraproduktiv“. Die Hilfslieferungen für Sarajevo würden „sofort wieder aufgenommen, wenn die bosnische Regierung uns dazu auffordert“, erklärte die UNHCR-Sprecherin. Izetbegović forderte unterdessen US-Präsident Bill Clinton auf, Hilfsgüter von der US-Luftwaffe abwerfen zu lassen. Der kommandierende General der UNPROFOR-Truppen für Sarajevo, der Franzose Phillip Morillon, der Ogatas Entscheidung kritisierte, versuchte am Donnerstag einen Hilfstransport in Ostbosnien durchzusetzen. Die UNHCR-Sprecherin erklärte dazu, das UNHCR lege es nicht auf einen Streit mit Morillon an. Wenn es dem General gelingen sollte, die Hilfsgüter zu notleidenden Menschen zu bringen, sei das UNHCR „glücklich“. Der Weltsicherheitsrat wird voraussichtlich Ende Februar über die Einsetzung eines Tribunals für Kriegsverbrecher in Ex-Jugoslawien entscheiden. Bei einer Anhörung im Europaparlament in Brüssel zu den Massenvergewaltigungen von Frauen auf dem Balkan hatte Parlamentspräsident Egon Klepsch gefordert, „Vergewaltigung als militärische Taktik und Instrument der ethnischen Säuberung“ als Kriegsverbrechen höchsten Grades und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen. Seiten 8 und 10
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