Vorentscheidung bei der Tour de France: Kannibale fährt mit
Tadej Pogacar wartet nicht erst auf hohe Pässe. Er zeigt schon im ersten Drittel der Tour de France, dass er der dominierende Pedaleur ist.
Nachdem auf diese Art mal wieder ein Etappensieg herausgesprungen war, dieses Mal auf der Planche des Belles Filles, sah Majka sich gezwungen, die Radsportwelt zu beruhigen: „Keine Angst, Tadej wird den anderen auch noch Siege lassen. Er will bloß das Gelbe nach Paris bringen“, sagte er.
Ganz so stimmt das aber nicht. Denn tags darauf in Lausanne stürzte sich Pogacar erneut in den Kampf um den Etappensieg. Knapp wurde er von den Bergsprintspezialisten Wout van Aert und Michael Matthews abgefangen. Aber die Aktion bestätigte, dass Pogacar immer mehr vom kleinen Kannibalen, wie man ihn in Anlehnung an den Radsportheros der Vergangenheit, Eddy Merckx, lange nannte, zu einem Kannibalen von ganz eigener Statur.
Er siegt, wie einst der Belgier, auf jedem Terrain. Der Slowene war bereits der Beste des Hauptfeldes auf der Pflastersteinetappe von Lille nach Arenberg. Ein Angriff von ihm zerlegte am Tag später das gesamte Peloton nach einem langen, harten Tag in den Ardennen. Auf der Planche des Belles Filles trotzte er nach mächtiger Vorarbeit seines Teams einem Antritt seines Herausforderers Jonas Vingegaard und flog förmlich dem Ziel entgegen.
Neue Sprinterqualitäten
Diesen beiden Tagessiegen ließ er in Lausanne Platz 3 folgen. „Schade, dass ich nicht gewonnen habe“, sagte er hinterher. Er grämte sich aber nicht lange und schob nach: „Es ist einfach toll, dass ich im Sprint mithalten kann. Früher, in Jugendzeiten, hatte ich im Sprint gar keine Chance. Ich war da immer unter den Letzten.“ Der schmal gebaute Pogacar hatte gegenüber den größer gewachsenen Altersgenossen das Nachsehen. Das immerhin focht ihn nicht an. Vielmehr machte er offenbar früh die Erfahrung, dass Radsport sehr oft verlieren bedeutet. Das machte ihn mental robust. Und Jahr für Jahr lernte er sich zu verbessern.
Dass seine stetige Verbesserung nicht abbrach wie bei so manchen Trainingsgefährten im Nachwuchsteam KD Rog oder anderen Nachwuchsmannschaften weltweit, sondern immer weiter anhielt, ist wohl das große Geheimnis hinter der aktuellen Leistungsfähigkeit. KD Rog ist übrigens nicht benannt nach Pogacars Erzrivalen Primoz Roglic, sondern nach der Fahrradfabrik in Ljubljana, die dieses Team von den 1950er bis in die 1990er Jahren unterstützte. 2006 wurde die mittlerweile brachliegende Fabrik sogar besetzt und zu einem autonomen Zentrum. Ob Pogacar dort auch mit Che-Guevara-T-Shirts herumlief, ist allerdings nicht überliefert.
Einen Behauptungswillen wie einst die Companeros in der Sierra Madre schätzt jedenfalls sein aktueller Teamchef Mauro Gianetti als hervorstechendste Eigenschaft seines Schützlings ein. „Seine mentale Stärke ist noch größer als seine physische. Unter Druck bricht er nicht ein, sondern zeigt sein Bestes“, schwärmte Gianetti der taz vor.
Staunende Konkurrenten
Dass er das so früh zeigt, verwundert die Konkurrenz. „Ich weiß nicht, ob es ganz ohne Risiko ist, so früh im Rennen schon so viel zu investieren und so offensiv zu fahren“, sagte Rolf Aldag, Performance Director bei Bora Hansgrohe, der taz.
In den letzten beiden Jahren war die Herangehensweise von Team UAE noch anders. „Da gingen sehr viele Siege an Fluchtgruppen. Da hat man die Ziele darauf reduziert, in Paris oben zu stehen. In diesem Jahr aber nehmen sie mit, was sie mitnehmen können“, analysierte Aldag. Das wirkt wie eine Kurzzeitstrategie, ganz so, als wolle Pogacar mit seiner frühen Übermacht die Konkurrenz einschüchtern.
Es kann auch eine Reaktion auf die Coronagefahr im Peloton sein. Ein Teamkollege von Pogacar wurde kurz vor dem Tourstart wegen Corona ausgetauscht, ein zweiter Fahrer musste wegen eines positiven Tests vorzeitig abreisen. Lieber nehmen, was man kriegen kann, bevor man mit leeren Händen abreisen muss, scheint da eine vernünftige Heransgehensweise zu sein.
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