Vorbild heutiger Whstleblower: Daniel Ellsberg ist tot
Als US-Regierungsmitarbeiter hatte Ellsberg Zugang zu Geheimdossiers über den Vietnamkrieg – und lancierte die „Pentagon Papers“. Am Freitag ist er 92-jährig gestorben.
NEW YORK ap Der Whistleblower Daniel Ellsberg, der die „Pentagon-Papiere“ über streng geheime Details des Vietnamkrieges veröffentlichte, ist im Alter von 92 Jahren gestorben. Der Ökonom und Friedensaktivist hatte im Februar bekanntgegeben, dass er unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt war. Seine Familie teilte in einem Brief mit, dass er am Freitagmorgen (Ortszeit) gestorben sei. Der Brief wurde von einer Sprecherin der Familie, Julie Pacetti, veröffentlicht.
Ellsberg kam am 7. April 1931 in Chicago zur Welt. Er war bis Anfang der 1970er Jahre, als er Zeitungen 7000 Seiten geheimer Dokumente über Zielsetzungen und Täuschungsmanöver der US-Regierung in Indochina zuspielte, ein ranghohes Mitglied der Washingtoner Elite mit Zugang zu Regierungs- und Militärgeheimnissen. Der Harvard-Absolvent war in den 60er Jahren als Berater für Themen rund um Vietnam im privaten und öffentlichen Sektor tätig. Ellsberg gewann das Vertrauen von Mitarbeitern in US-Regierungen sowohl unter demokratischer als auch unter republikanischer Führung. Besonders geschätzt worden sei er, wie er später bemerkte, für sein „Talent für Diskretion“.
Doch wie Millionen von anderen Amerikanern nahm Ellsberg Anstoß an dem langwierigen Vietnam-Krieg – und Behauptungen der Regierung, dass sich die Schlacht gewinnen ließe und ein Sieg der Nordvietnamesen über den von den USA unterstützten Süden des Landes zur Ausbreitung des Kommunismus in der Region führen werde. „Eine ganze Generation von Vietnam-Ära-Insidern war genauso desillusioniert wie ich mit einem Krieg geworden, den sie als hoffnungslos und endlos ansahen. Bis 1969, wenn nicht früher, wollten sie alle wie ich, aus diesem Krieg heraus“, schrieb Ellsberg in seinen Memoiren von 2002.
Anders als viele andere Kriegsgegner war Ellsberg jedoch in der Position, einen Unterschied zu machen.
Seine in der New York Times ab Juni 1971 abgedruckten Enthüllungen führten zu einem erheblichen Druck der amerikanischen Öffentlichkeit, den Krieg in Vietnam zu beenden. Der damalige Präsident Richard Nixon versuchte nach drei Folgen, weitere Veröffentlichungen zu verbieten. Der Fall ging bis zum Obersten Gerichtshof der USA, der die Zensur aufhob und die Veröffentlichung erlaubte. Ellsberg stellte sein Gewissen über die Staatsräson.
Die Pentagon-Papiere waren 1967 vom damaligen US-Außenminister Robert McNamara in Auftrag gegeben worden. Sie deckten mehr als 20 Jahre ab – von der gescheiterten Kolonialisierung Indochinas in den 1940er und 1950er Jahren durch Frankreich bis zu US-Bombardements und der Entsendung Hunderttausender US-Soldaten unter Präsident Lyndon Johnson. Diese Eskalation fand verdeckt statt, wobei aus den Dokumenten hervorging, dass die USA bereits 1954 gegen eine Vereinbarung verstießen, die eine ausländische Militärpräsenz in Vietnam untersagte. Die Historikerin und Philosophin Hannah Arendt sagte, dass Misstrauen in die US-Regierung in der Vietnam-Ära habe sich von einer Glaubwürdigkeitslücke zu einem Abgrund ausgeweitet.
„Gefährlichster Mann Amerikas“
Ellsberg trug die 7000 Seiten – zusammen 47 Bände – in einem Aktenkoffer aus einem Safe in der Denkfabrik Rand Corporation, für die er tätig war, und fotokopierte sie mit Vertrauten. Neben der New York Times spielte er sie auch anderen US-Zeitungen zu. Der damalige nationale Sicherheitsberater Henry Kissinger nannte ihn „den gefährlichsten Mann Amerikas“ und Nixon wies seine später beim Watergate-Skandal berüchtigte „Klempnertruppe“ an, Ellsberg nicht davonkommen zu lassen.
„Ohne Nixons Obsession auf mich wäre er im Amt geblieben“, sagte Ellsberg 1999 in einem Interview. „Und wäre er nicht aus dem Amt entfernt worden, hätte er (Vietnam) weiter bombardiert.“
Ellsberg musste sich Strafverfahren in Boston und Los Angeles wegen Spionage und Diebstahls stellen – im Falle einer Verurteilung hätten ihm mehr als 100 Jahre Haft gedroht. Er selbst rechnete auch mit einer Gefängnisstrafe, doch blieb er letztlich verschont, was zum Teil an Nixons entfesselter Rache und den Exzessen der Entourage des damaligen Präsidenten lag. So wurde bekannt, dass Nixon Ellsberg ausspähen ließ und einem Einbruch in die Praxis des Psychiaters des Whistleblowers zugestimmt hatte. Beim Watergate-Skandal, der ein Jahr später ins Rollen kam und 1974 zum Rücktritt Nixons führte, wurden ähnliche Methoden angewandt. Am Ende platzten die Prozesse gegen Ellsberg.
In seinen späteren Jahren setzte sich Ellsberg für Meinungsfreiheit ein, war gegen den Irak-Krieg unter Präsident George W. Bush, dessen Absetzung er forderte, und gegen die US-Militäreinsätze in Afghanistan in der Amtszeit Barack Obamas. Er verteidigte Whistleblower wie Julien Assange, die Geheimdienstanalystin Chelsea Manning und Edward Snowden.
„Viele der Menschen, die mit Whistleblowern arbeiten, wissen dieselben Dinge auf gleiche Art – dass es falsch ist – aber schweigen“, sagte er der New York Times noch in diesem Jahr.
In einem Interview mit der taz im Jahr 2019 kommentierte er zu dem Fall eines Whistleblowers, der sich beim Generalinspekteur der Geheimdienste darüber beschwert hatte, dass der damalige Präsident Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski telefonisch dazu gedrängt haben soll, Ermittlungen gegen den damaligen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und seinen Sohn aufzunehmen: „Wer diesen Präsidenten wegen seiner Fähigkeiten als Lügner und Demagoge zu beeindruckend findet, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, wenn er das Recht bricht, akzeptiert eine Autokratie.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?