: Vorbild Dritte Welt
Generaldirektor Peter Sutherland lobt die Länder des Südens für ihr Engagement bei den Gatt-Verhandlungen und tadelt EG und USA ■ Aus Genf Andreas Zumach
Die EG und die USA haben die Macht, das Welthandelssystem zu zerstören. Von beiden Handelsblöcken hängt Scheitern oder Mißerfolg der Gatt-Verhandlungen über die Liberalisierung des Welthandels ab. Deutlich wie nie zuvor hat gestern der Generaldirektor des „Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens“ (Gatt) in Genf Position bezogen und die Verantwortlichen benannt. Innerhalb der EG komme es „an erster Stelle“ auf die Bundesregierung an, sagte der Ire Peter Sutherland. Denn sie könne innerhalb der EG Druck auf die französische Regierung ausüben, den Streit um die Exportsubventionen für Agrarprodukte mit den USA beizulegen (s. u.).
Zugleich lobte Sutherland die Länder Osteuropas und der Dritten Welt, ihre kompromißbereiten Verhandlungspositionen und ihre bisherigen Maßnahmen zur Öffnung ihrer Märkte. Gleichzeitig wies er jeden Versuch entschieden zurück, den im Frühsommer von den 116 Gatt-Staaten vereinbarten Termin 15. Dezember für einen Abschluß der Verhandlungen noch einmal hinauszuschieben.
„Erfolg oder Scheitern der Verhandlungen hängt vom Verhalten der EG und der USA ab“, betonte Sutherland, der im Juli das Amt des Gatt-Generaldirektors von dem Schweizer Arthur Dunkel übernommen hatte. Diese beiden Handelsmächte hätten „die Fähigkeit, die Uruguay-Runde entweder zu zerstören und damit dem multilateralen Handelssystem irreparablen Schaden zuzufügen oder aber die Verhandlungen unter ihrer Führung zu einem befriedigenden Abschluß zu bringen“.
Das multilaterale Handelssystem habe „den EG-Ländern und hier ganz besonders Deutschland in der Vergangenheit unermeßliche Vorteile gebracht“. Deshalb glaube er, daß „Deutschland sehr wohl versteht, wie wichtig ein Erfolg der Uruguay-Runde“ sei.
Die Staaten des Südens hätten bei den bisherigen Verhandlungen „sehr gute Vorschläge gemacht“, unterstrich der Gatt-Generaldirektor. Die Länder in Lateinamerika und in Südostasien sowie in Zentral- und Osteuropa seien „zur Liberalisierung des Handels bereit“ und hätten ihre Märkte bereits „geöffnet“ und „in den Weltmarkt integriert“.
Sutherland verwies auf das Beispiel Lateinamerika, wo die Öffnung der Märkte in den letzten fünf Jahren „zu riesigen Zuwachsraten für Exporte aus EG-Ländern geführt“ habe. Als „Gegenleistung“ verlangten die Entwicklungsländer jetzt „mit einiger Berechtigung“ die Öffnung der Märkte in den Industrieländern.
Sutherland erklärte, am ausgeprägtesten sei der Protektionismus der Industriestaaten bislang in den Bereichen Landwirtschaft und Textilien. Es wäre „eine böse Ironie und eine Schande für Westeuropa und die Vereinigten Staaten, wenn die Verhandlungen schließlich an diesen beiden Handelsmächten scheitern“ würden.
Der Gatt-Generaldirektor äußerte deutliches „Erstaunen“, daß das Datum 15. Dezember für einen endgültigen Abschluß der Uruguay-Runde bereits wieder in Frage gestellt werde. Dieser Frist hätten „alle Gatt-Staaten zugestimmt – auch die EG“, betonte Sutherland. Sie sei „kein Diktat der USA“. (Bis zum 15. Dezember ist das Verhandlungsmandat der Clinton-Administration für die Gatt-Gespräche befristet.) Die EG habe dem Termin „sogar zugestimmt, bevor der US-Kongreß den 15. Dezember festgelegt“ habe.
Neben unlösbaren Differenzen über den Inhalt eines Abkommens seien „andauernde Verschleppungs- und Verzögerungsmanöver der sichere Weg, die Uruguay- Runde zum scheitern zu bringen“. Laut Sutherland gibt es unter den vorgesehenen 15 Themenbereichen eines Gatt-Abkommens „noch fünf bis sechs in der Substanz ungeklärte, an denen ein Abkommen noch scheitern könnte“.
Der „gefährlichste“ Bereich sei die Landwirtschaft. Die Behauptung, die Verhandlungen seien „festgefahren“, sei allerdings „falsch“, sagte der Gatt-Generaldirektor. Die in den bisherigen Verhandlungen erzielten Fortschritte seien „sehr bemerkenswert“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen