Vorbericht G20 in Indien: Indien will die Welt verändern
G20-Gastgeber Indien präsentiert sich als Stimme des Globalen Südens. Doch die Fronten zwischen dem Westen und Russland überschatten die Ambitionen.
Zu Hause in Delhi wurden bereits lästige Rhesusaffen verjagt, tausende neue Bäume gepflanzt und so manche:r Straßenhändler:in in den Zwangsurlaub geschickt. Die Hauptstadt hat sich in eine glänzende Hochsicherheitszone verwandelt. Hoher Besuch ist seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine keine Seltenheit, doch in diesem Jahr wird Indien hofiert wie nie zuvor. Nicht zuletzt als Partner gegen Russland.
Es soll auch ein Gipfel „für alle sein“, nicht nur die Chefs der G20, betont der 72-jährige Modi, der sich auf dem Zenit seiner Karriere befindet. Das G20-Mantra lautet: „Eine Erde, eine Familie, eine Zukunft“. Die Innenstädte von 60 Städten, in denen über 200 Treffen rund um G20 bereits stattfanden, wurden herausgeputzt.
In kleineren Millionenstädten wie Modis Wahlkreis Varanasi wurde das gefeiert: Die Welt ist zu Gast in Indien. Ziel des G20-Gipfels sei es, die Welt „bereit für Indien“ zu machen, propagiert Außenminister Subrahmanyam Jaishankar. Unter Indiens Präsidentschaft habe man den Globalen Süden „ins Bewusstsein der Welt gebracht“, beansprucht er.
Modi nutzt den G20-Gipfel als Wahlkampfbühne
Das Logo des G20-Gipfels ist eine Lotosblüte, die „Hoffnung in diesen schwierigen Zeiten“ spenden soll. Kritische Beobachter:innen sehen eine große Ähnlichkeit mit dem Wahlsymbol von Modis hindunationalistischer Volkspartei BJP.
Manche raunen, die G20-Präsidentschaft diene Modi bereits als Wahlkampf fürs kommende Jahr. Inzwischen formiert sich auch die Opposition im Land. Dennoch sei der G20-Gipfel für Modi die Chance, der Welt zu zeigen, dass Indien ein globaler Akteur ist, sagt Ramesh Menon, der über Modis politischen Aufstieg ein Buch geschrieben hat.
Kritik an Gastgeber Modi ist rar. Dabei gäbe es durchaus Grund: 2021 stufte das schwedische Forschungsinstitut V-Dem Indien zur „Wahlautokratie“ herab. Es stehe kurz davor, seinen Status als Demokratie zu verlieren. Es fehle „Raum für die Medien, die Zivilgesellschaft und die Opposition unter der Regierung von Premierminister Modi“, hieß es.
Druck um die Abschlusserklärung steigt
Im Umland Delhis gingen die Verhandlungen über die Abschlusserklärung des G20-Gipfels der Unterhändler:innen bis spät in die Nacht. Für Indien ist es wichtig, einen aussagekräftigen und konsensfähigen Text zu formulieren. Indien hat sich selbst ein hohes Ziel gesteckt und möchte über die Erfolge des G20-Gipfels auf Bali im November 2022 hinausgehen. Der ambitionierte Plan zum Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe wird es aber wohl nicht in das Dokument schaffen.
Für viele G20-Staaten steht der Angriffskrieg gegen die Ukraine oben auf der G20-Agenda. Die Europäische Union (EU) hätte die Teilnahme von Präsident Wolodimir Selenski am G20-Gipfel in Neu Delhi begrüßt, sagte ein hochrangiger Beamter in Brüssel. In EU-Kreisen gelten die Ukraine-Frage, Klimaziele und -finanzierung sowie die globale Ernährungssicherheit, die durch Russlands Krieg verschärft wurde, als die wichtigsten Themen.
Die Afrikanische Union wird Teil des G20-Formats sein
Die Botschafter von Dschibuti, Sudan und den Komoren in Indien unterstrichen öffentlich Modis Engagement für den Globalen Süden und Afrika. Die Afrikanische Union ist in diesem Jahr Indiens Gast beim Gipfel und wird künftig Teil des G20-Formats sein. Hinter den Kulissen dient die G20 auch dazu, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Indien und der EU voranzutreiben. Daran ist nicht nur die Modi-Regierung interessiert.
Dass der chinesische Präsident Xi Jinping den G20-Gipfel im Gegensatz zum Brics-Gipfel im vergangenen Monat meidet, hat international für Aufsehen gesorgt. In Indien wird das als Affront aufgefasst. Gegen den russischen Staatschef Wladimir Putin wurde vom Internationalen Strafgerichtshof ein internationaler Haftbefehl erlassen, deswegen scheut der Kremlchef Reisen ins Ausland. Von diesen Absagen ließ sich Indiens Führung nicht beeindrucken. In Delhi wird Putin durch seinen Außenminister Sergei Lawrow vertreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern