Vor dem Parteitag des Front National: Radikal in der Defensive
Marine Le Pen und ihr Front National verlieren in Frankreich an Bedeutung. Auf dem Parteitag am Wochenende soll ein neuer Name her.
Von einer Trikolore an einem Stand angezogen, schwärmt sie, wie sehr sie sich unter den Landwirten „daheim“ fühle. Doch das stößt nicht unbedingt auf Gegenliebe: „Sie reden aus Ihrer charmanten kleinen Villa zu den Bauern, was aber wissen Sie vom Boden?“, fragt der Landwirt Philippe Nolot. Und zu den Umstehenden und den Journalisten gewandt wettert er: „Sie ist überall, wo es Probleme gibt, denn so kann sie ihre Suppe besser verkaufen.“
Kinder und Erwachsene drängen sich für ein Selfie mit ihr vor. Vom Publikum wird sie als Prominente wahrgenommen, eine, die man aus dem Fernsehen kennt. Doch der Unterschied zu ihrem triumphalen Einmarsch in den „Salon de l’Agriculture“ vor einem Jahr ist krass.
Marine Le Pen hat ihre deutliche Niederlage gegen Emmanuel Macron im zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen im Mai 2017 noch nicht verkraftet. Viele ihrer Fans sind der Meinung, dass sie mit schuld daran ist, dass der Front National bei der anschließenden Parlamentswahl unerwartet schlecht abgeschnitten hat. Sie wurde zwar in ihrem nordfranzösischen Wahlkreis in Hénin-Beaumont in die Nationalversammlung gewählt, seither aber ist es still um sie. Als Sprecherin einer radikalen rechten Opposition gegen Macrons Regierung hat sie, anders als viele erwartet haben, keinen Erfolg.
Das Erstarken rechtsextremer und rechtspopulistischer Anti-EU-Bewegungen müsste sie optimistisch stimmen. Doch Marine Le Pen macht seit Wochen irgendwie einen lustlosen und fast deprimierten Eindruck bei ihren Auftritten in den Medien. Die Tiraden der sonst so schlagfertigen Politikerin wirken auswendig gelernt und aufgewärmt.
Glaubt Marine Le Pen nicht mehr an sich?
Vor dem Parteitag, der an diesem Wochenende stattfindet, hat sie eine „Tour de France“ durch die Provinz unternommen – auch da fehlte ihren Parolen gegen die unkontrollierte Einwanderung, die „Islamisierung“ und die Leugnung der nationalen Identität der aggressive Eifer.
Marine Le Pen
Glaubt die Parteichefin des Front National selber nicht mehr an sich und ihre Ambitionen? Der Regionalsender France 3 fragte sie danach, Le Pen dementierte diesen Eindruck. Sie habe immer noch Lust, auch wolle sie weiter gegen die Anfechtungen von allen Seiten ankämpfen: Gegen sie und ihre Partei wird wegen Unterschlagung von EU-Geldern und wegen mutmaßlichen Steuerdelikten ermittelt; die Banken haben sie boykottiert und wollten ihr für die Wahlkampagne im letzten Jahr keinen Kredit gewähren – was sie gezwungen hat, ausgerechnet bei ihrem Vater Geld zu pumpen.
Sie sieht sich, wie immer, als Opfer des Systems. „Ich bin noch da, ich werde weiterkämpfen, was immer ihr auch gegen mich vorbringt und welche Angriffe ihr gegen mich plant. Denn ich kämpfe nicht für mich, sondern für die Franzosen, ich kämpfe für Frankreich, seine Freiheit, seinen Wohlstand und seine Sicherheit.“ Auch das ist Teil einer zu oft gehörten Leier der FN-Chefin.
Neu ist, dass sie erwägt, die Führung der Partei abzugeben. Zwar ist sie beim Parteitag in Lille die einzige Kandidatin für den Posten als Präsidentin des FN, doch die bald 50-Jährige möchte das nicht ihr ganzes Leben lang bleiben: „Ich werde mich nicht bis ins hohe Alter an meinen Sessel klammern“, sagte sie in Anspielung auf ihren Vater, Jean-Marie Le Pen. Der hatte ihr 2011, 30 Jahre, nachdem er die Partei gegründet hatte, den Parteivorsitz übertragen – als 82-Jähriger.
„Der FN hat Jean-Marie Le Pen überlebt, er wird auch Marine Le Pen überdauern“, sagt sie und denkt dabei bereits an die nächste Präsidentschaftswahl: „Wenn jemand besser in der Lage ist, unsere Anhänger zu versammeln und unsere Ideen siegen zu lassen, dann ist das kein Problem für mich.“
Ultrakonservativ und streng katholisch
Denkt sie dabei an ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen? Die hatte sich 2017 nach fünf Jahren als FN-Abgeordnete offiziell aus der Politik verabschiedet, hält sich jetzt aber bereit für ein Comeback. Marine Le Pen und Marion Maréchal-Le Pen sind unterschiedlicher Meinung, was Themen wie Abtreibung und die Ehe für alle angeht. Die Tante ist da fast liberal, die Nichte ultrakonservativ und streng katholisch. Uneinig sind die beiden sich aber auch in strategischen Fragen.
Im Februar trat Marion Maréchal-Le Pen vor Ultrakonservativen in Washington auf. Die 28-Jährige, die in Frankreich enge Kontakte sowohl zu rechtsradikalen wie konservativen Kreisen unterhält, will einen Fuß in der Politik behalten. Sie bekam viel Applaus für ihre Bemerkung, Donald Trumps „America first“ sei eine Version des traditionellen rechtsextremen Slogans „Les Français d’abord“ – „die Franzosen zuerst“.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
83 Prozent der FN-Sympathisanten möchten laut einer Umfrage, dass Marion Maréchal-Le Pen in die Politik zurückkehrt. Das macht sie zu einer Rivalin für Marine Le Pen. Die dürfte erleichtert sein, dass ihre intern so populäre Nichte nicht zum Parteitag erscheint und ihr dort die Show stiehlt – offiziell hält die sich noch zurück.
Die Reihen um die Parteichefin haben sich gelichtet. Marine Le Pen hat ihren bisherigen Chefstrategen und engsten Vertrauten, Florian Philippot, entlassen und aus der Partei geworfen. Sie warf ihm mangelnde Führungsqualitäten vor. In Wirklichkeit macht sie ihn für die verpatzte Wahlkampagne und vor allem für ihren eigenen katastrophalen Auftritt im Fernseh-Duell gegen Emmanuel Macron verantwortlich. In dieser Debatte vor dem Wahlfinale wirkte Marine Le Pen überaus aggressiv, schlecht vorbereitet und inkompetent.
Nun hat Philippot mit einer Schar von Sympathisanten eine politische Bewegung gegründet, „Les Patriotes“. Deren Hauptforderung ist ein „Frexit“, eine Abstimmung über einen Austritt Frankreichs aus der EU und dem Euro. Bislang sind diese unheimlichen Patrioten für den FN mehr ein Störfaktor als eine Konkurrenz.
Kritik von innen und von außen
Auch mit ihrem Vater hat Marine Le Pen sich überworfen. Die beiden sprechen nicht mehr miteinander. Sie hat ihn 2015 wegen seiner Äußerungen zum Holocaust aus dem Front National ausschließen lassen. Beim Parteitag in Lille soll er nun auch noch seine Ehrenpräsidentschaft verlieren.
Er schmollt und hat angekündigt, dass er nicht nach Lille fahren werde, wo ihm die Parteichefin den Zutritt ohnehin verweigern wollte. Er hat seine im FN verbliebenen Anhänger aufgefordert, es ihm gleichzutun, um nicht zu „Komplizen der Ermordung“ seiner Partei durch seine Tochter zu werden. Stattdessen signiert er in Paris den gerade erschienenen ersten Teil seiner zweibändigen Memoiren. Über seine Tochter sagt er abfällig, sie sei „mitleiderregend“.
Die Kritik von innen und von außen kann sich auf eine detaillierte Umfrage stützen, die belegt, dass die Bemühungen zur „Entdiabolisierung“ des rechtsextremen Front National letztlich nicht gefruchtet haben. In der öffentlichen Meinung stehen die Partei und deren Chefin wieder auf dem Niveau von 2011, als sie den Versuch starteten, den Front National als demokratisch, salonfähig und somit bündnistauglich zu verkaufen.
Zunächst hat das teilweise funktioniert. Heute indes sind wieder 56 Prozent der Befragten der Ansicht, der Front National stelle eine Gefahr für die Demokratie dar. Und der Anteil der Leute, die angeben, sie seien mit den Ideen des Front National einverstanden, ist von 33 Prozent auf 24 gesunken. Noch drastischer ist der Absturz der Parteichefin in allen Kategorien: Bei der Frage, ob Marine Le Pen neue Lösungen für Frankreichs Probleme bringe, fiel der Anteil der Zustimmenden von 49 auf 30 Prozent.
Marine Le Pen ist in der Defensive. Sie will darum bei diesem Parteitag Wandel signalisieren. Mittel dazu soll eine Namensänderung sein: Die vom Vater geerbte Bezeichnung „Front“ findet die Tochter längst zu militärisch und extremistisch – das schreckt mögliche Bündnispartner ab. Ob ein neues Etikett die rechtsextreme Partei aus ihrer Isolation herausholt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“