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Vor dem Kadi wegen „Kacken-Anne-Frank“

■ Ex-Moderator Peter M. klagt auf Weiterbeschäftigung / Richter sieht Vertrauensverhältnis zu Radio Bremen wegen Verunglimpfung von Anne Frank gestört

Die Klage von Peter M. gegen seine fristlose Kündigung bei Radio Bremen hat aller Voraussicht nach keine Aussicht auf Erfolg. Das ist das Ergebnis der ersten Güteverhandlung gestern vor dem Bremer Arbeitsgericht. Wie berichtet, hatte sich M. in einer bundesweit ausgestrahlten Sendung vom 3. auf den 4. Juni sehr strittig über Anne Frank ausgelassen. Der Sender hat jetzt zunächst bis zum 22. September Zeit für weitere Beweisanträge. Darauf kann der ehemalige Moderator bis Ende November reagieren. Am 6. Januar 1999 wird die Verhandlung fortgesetzt.

Allerdings ließ Arbeitsrichter Claussen keinen Zweifel an seiner persönlichen Einschätzung: „Es wäre kein Fehler gewesen, die Klage zurückzuziehen.“ Desweiteren nannte er die Aussagen von Peter M. über Anne Frank während der Anhörung einen „elementaren Verstoß gegen das Radio-Bremen-Gesetz und die Verantwortung gegenüber der deutschen Geschichte. Allein von der ethischen Basis ist dies eine Grenzüberschreitung jenseits aller Maße, so daß man nicht mehr zusammenarbeiten kann.“

Für Radio Bremen ist das Vertrauensverhältnis zu Peter M. jedenfalls zerstört. Nach Angaben von Rechtsanwalt Konrad Hammann will man sich auf keinen Fall gütlich einigen. Damit bleibt der Sender bei seiner ursprünglichen Haltung. Obwohl sich Peter M. bereits am nächsten Tag für sein Verhalten entschuldigt haben soll, sprach der Sender die fristlose Kündigung aus. Anlaß waren Äußerungen in einem Gespräch mit einer 12jährigen Zuhörerin über das jüdische Mädchen Anne Frank, das im März 1945 im KZ Bergen-Belsen von den Nazis ermordet worden war. In dem Gespräch hat Peter M. Anne Frank laut Protokoll als „deprimiertes junges Mädel mit Scheißtagebüchern“ bezeichnet. Weiter hieß es: „Ich finde das Mädel entsetzlich.“ „Oh Gott, drei Bücher über Kacken-Anne-Frank.“ Und: „Ich hasse Anne Frank.“

Peter M.'s Anwalt Tilo Winter bezeichnete diese Sprüche als „einmalige Ausrutscher. Das kann passieren und ist kein Grund für einen Rauswurf.“ Das Schicksal des jüdischen Mädchens habe seinem Mandanten nicht klar vor Augen gestanden. Außerdem habe sich im Radio ein Stil breitgemacht, draufloszuplappern ohne nachzudenken. Zudem sehe das Bundesarbeitsgericht bei solch einem Fall von steuerbarem Verhalten „grundsätzlich eine Abmahnung“ vor. Für Rechtsanwalt Winter hat der ganze Vorfall einen „unangemessenen Rahmen“ bekommen. Würde es sich nicht ausgerechnet um ein ermordetes jüdisches Mädchen handeln, wäre es nie zu der Reaktion seitens des Senders gekommen, so Winter.

Das wiederum beurteilte Richter Claussen gestern völlig anders: „Solch eine Kündigung hängt eindeutig von der Schwere des Vergehens ab. Man kann nicht grundsätzlich jedem einen Fehlschuß einräumen – egal bei welcher Geschmacklosigkeit.“ Für Arbeits-richter Claussen reduziert sich der Fall vielmehr auf zwei zentrale Fragen: „Kann man den Mann bei Radio Bremen noch vor das Mikro setzen?“ Und war Peter M. bewußt, daß Anne Frank von den Nazis ermordet wurde? Denn ab einem gewissen Punkt hat Peter M. in seiner Moderation eine Kehrtwende vollzogen. Fraglich ist aber, ob er zu diesem Zeitpunkt erst gemerkt hat, daß er sich über ein Nazi-Opfer lustig macht oder ob seine Talkpartnerin das Gespräch überhaupt nicht witzig fand und er deshalb die Moderatoren-Notbremse zog.

Kommt es am 6. Januar zu einer weiteren Verhandlung, besteht für Peter M. Anwesenheitspflicht, die Richter Claussen anordnete: Bei der gestrigen Verhandlung glänzte der Moderator mit Abwesenheit.

Jens Tittmann

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