Vor dem Finale England vs. Deutschland: Anlaufen in Wembley
Englands Auswahl scheint nichts und niemand aufhalten zu können. Nichts? Spanien und Schweden haben gezeigt, wie es gehen könnte.
Insgesamt 19 Begegnungen hat man seither bestritten. Der höchste Sieg in der Verbandsgeschichte (20:0 gegen Lettland in der WM-Qualifikation) war darunter sowie das noch geschichtsträchtigere 8:0 gegen Norwegen in der Vorrunde dieses Turniers. Vor allem aber haben die Lionesses in diesem knappen Jahr nicht eine einzige Partie verloren. Warum sollte denn ausgerechnet gegen die Deutschen im Wembley-Stadion etwas schiefgehen?
England ist auf alles vorbereitet, das betont Wiegman immer wieder gern während des Turniers. Neben ihrem Plan A verfügt sie über geschätzte 1.000 andere Pläne. Selbst wenn in dieser Partie ein Tor zusammenbrechen sollte, weiß die 52-Jährige wahrscheinlich genau, wie sie das Team in nötiger Spannung halten wird.
Statistiken können allerdings irreführend sein, lassen sie doch die Geschichten vergessen, die hinter den Zahlen stehen. Das englische Team hat trotz seiner reinen Weste immer wieder mit Problemen zu kämpfen.
Englische Anlaufschwierigkeiten
Regelmäßig tut sich das Team nach Anpfiff schwer, auf Betriebstemperatur zu kommen. Bei dieser EM könnte das mit dem Erwartungsdruck zusammenhängen, von dem sich die Gastgeberinnen erst einmal freispielen müssen. Beim Eröffnungsspiel im Old Trafford gegen Österreich lag diese These besonders nah. Im ausverkauften Wembley-Stadion dürfte das Problem nicht weniger wiegen.
Spielen die Gegnerinnen ein hohes Angriffspressing, wie es die Spanierinnen über einen Großteil ihrer Partie und die Schwedinnen über eine halbe Stunde schafften, neigt das Team von Sarina Wiegman zu einer hohen Fehleranfälligkeit. Spaniens Wirbel auf der Seite von Rachel Daly erinnerte daran, dass diese ja eigentlich in ihrem Verein gar keine rechte Außenverteidigerin, sondern Stürmerin ist.
Ein Glück für England, dass sich für diese Schwachstelle bislang kaum ein Team interessiert hat. Die extrem schnelle und dribbelstarke Jule Brand, die für die coronaerkrankte Klara Bühl vermutlich erneut zum Einsatz kommen dürfte, hat durchaus die Qualitäten, für eine ähnliche Unruhe auf dieser Seite zu sorgen.
Die Schwedinnen hatten sich interessanterweise auf die rechte englische Abwehrseite konzentriert, wo Lucy Bronze eigentlich ein hervorragendes Turnier gespielt hat. Aber die dort geschaffenen Überzahlsituationen ließen die Engländerinnen nicht gut aussehen. Sie hatten es nur den Reflexen ihrer Torhüterin Mary Earps zu verdanken, dass sie nicht in Rückstand gerieten.
Chancen im Luftkampf
Sogar aus den Flanken in den Strafraum entstand Gefahr, weil Millie Bright nicht alle Bälle allein wegköpfen konnte. Die deutsche Stürmerin Alexandra Popp könnte von derartigen Situationen durchaus profitieren.
Mit einem Rückstand hatten die Engländerinnen im Unterschied zum Team von Martina Voss-Tecklenburg schon zu tun. Ihre Widerstandskraft und Unbekümmertheit hat man nach dem Rückschlag im Viertelfinale gegen Spanien besonders gelobt. Genauer besehen konnten sich die Gastgeberinnen trotz allem Druck, den sie erzeugten, aber erst einmal keine wirklich guten Torgelegenheiten kreieren.
Es war schon auch ein gutes Stück Verzweiflung dabei, als Alessia Russo nur wenige Minuten vor dem Abpfiff beim Kopfballduell ihren Ellenbogen zur Hilfe nahm, um ihre Gegenspielerin kleinzuhalten. Die Vorlage nutzte Ella Toone zum Ausgleich, und der Videoschiedsrichter drückte dann fast beide Augen zu.
Der spanische Weg, über ein notorisch hohes Angriffspressing und Ballbesitzdominanz England zu entzaubern, liegt eher nicht im Vermögen des DFB-Teams. Die deutsche Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg orientiert sich eher an Schweden. Sie erinnerte mit Blick auf das große Spiel am Sonntag daran, dass man in diesem Halbfinale gesehen habe, wie man ihnen wehtun kann. Es wird darauf ankommen, dies effizienter und über eine etwas längere Zeitstrecke zu schaffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!