: „Vor Angst an die Ritzen geklammert“
■ Gestern verteilte die IG-Metall-Jugend Bremerhaven die „goldene Ausbildungszitrone“ für miserable Lernbedingungen / Kritisierter Chef wehrt sich: Berichtshefte seien mangelhaft
Die „goldene Ausbildungszitrone“ und eine „Unehrenurkunde“ hat die IG-Metall -Jugend Bremerhaven gestern einem Schlossereibetrieb bei Bremerhaven verliehen. Begründung: „Dieser Betrieb hat ständig gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz sowie das Berufsbildungsgesetz verstoßen“, erklärt die IG Metall.
Was ist passiert? Tim J., ein 17-jähriger Auszubildender in der Schlosserei Demelt, soll statt der erlaubten siebeneinhalb Stunden täglich rund zehn Stunden gearbeitet haben – und das nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmäßig. Laut Norbert Heimberg, politischer Sekretär der IG Metall Bremerhaven, hat sich Tims Vater bei Betriebsinhaber Bernd Demelt beschwert. Der konterte, sein Azubi führe sein Berichtsheft nicht ordentlich. Nach einigen Abmahnungen folgte alsbald die fristlose Kündigung des Sohnes.
Zwar ist der Fall des Tim J., für den sein Ex-Chef gestern die Metaller-Zitrone in Empfang nahm, in seiner Eskalation eine Besonderheit. „Die Ausbildung in kleinen Betrieben ist für die Azubis die Hölle“, sagt aber Gewerkschafter Heimberg, dort finde meist keine wirkliche Ausbildung statt. Heimberg weiter: „Wenn die Auszubildenden Glück haben, gibt es einen Gesellen, der ihnen hilft.“
Die Berufsverbände indes bestreiten solche Mängel in der Ausbildung. Peter Keck von der Bremerhavener Kreishandwerkerschaft und Vorsitzender des dortigen Schlichtungsausschusses erklärt, er habe in seiner mehrjährigen Amtszeit noch keinen vergleichbaren Fall erlebt.
Im Ausschuss gehe es meist um die exakte Berechnung von Urlaubsgeld, um die Berichtshefte oder um zu große Fehlzeiten bei den Azubis. Auch in Bremen sei ein Fall wie der in Debstedt noch nicht vorgekommen. Das erklären zumindest der Geschäftsführer der Bremer Kreishandwerkerschaft sowie wie Antje Edel von der Bremer IG Metall.
Tim Js. Geschichte ist am Montag außerdem Thema im Schlichtungsausschuss der Bremerhavener Kreishandwerkerschaft. Es geht dabei nur zum Teil um die Berichtshefte. Es geht vor allem um einen möglichen Verstoß gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz. Denn darin steht zu lesen, dass von den Auszubildenden nur Arbeiten verlangt werden dürfen, die dem Ausbildungszweck dienen und den körperlichen Kräften der Jugendlichen angemessen sind. „Dazu gehört aber nicht, einen Azubi im ersten Lehrjahr auf ein Baustellengerüst zu schicken, das kein Geländer hat, und auf das der Geselle nicht mal raufgeht“, schäumt IG-Metall-Mann Heimberg, aber genauso sei es im Debstedter Fall gewesen: „Der Tim hat vor lauter Angst versucht, sich in den Mauerritzen festzuhalten“, so der Vorwurf von Gewerkschafter Heimberg.
Für Betriebsinhaber Demelt sind die Vorwürfe hingegen reine Verleumdung. Die Version des Ausbilders ist eine andere: „Wenn Tims Eltern fair gewesen wären und einfach mal zu mir gekommen wären, hätten wir über alles reden können. Aber die schicken lieber die Gewerkschaft vor.“ Eine Prüfung durch das Gewerbeaufsichtsamt, das die IG Metall eingeschaltet hatte, habe im Übrigen keine Beanstandungen ergeben, sagt der Betriebsinhaber. Überstunden habe Tim J. mit Freizeit ausgleichen können. Und Tim Js. Berichtsheft, wiederholt der Firmenchef, sei nunmal nicht ordentlich geführt worden.
Trotz allem will der 17-Jährige seine Ausbildung im Betrieb Demelt fortsetzen. Doch sein Ex-Chef Demelt rechnet auch in der Schlichtung am Montag nicht mit einer gütlichen Einigung: „Der kommt bei mir nicht mehr in den Betrieb. Das Vertrauensverhältnis ist total gestört. Die Sache ist für mich gegessen.“
Ulrike Bendrat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen