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■ Von einer vertrauensvollen Atmosphäre kann nicht gesprochen werden, wenn sich bei Koalitionsverhandlungen jeweils 24 Unterhändler gegenübersitzen. Entsprechend dürftig fielen die Ergebnisse aus, die CDU und SPD heute vorstellen. Die taz hat sich vorab umgesehenDas Lämmern der Schweiger

Kultur und Wissenschaft

Die BerlinerInnen werden auch weiterhin zwischen drei Opern-, fünf Schauspiel- und zwei Konzerthäusern wählen können. „Wir stehen zu den großen kulturellen Einrichtungen“, versichern CDU und SPD. Allerdings fehlen in der Kulturkasse 50 Millionen Mark pro Jahr – doch über Geld wollten die Koalitionäre gestern erst am späten Abend reden. Die Operettenfreunde werden wohl in die Röhre schauen: Jene 20 Millionen Mark jährlich, mit denen die Union das Metropol-Theater wieder eröffnen möchte, sind nach Ansicht der SPD schlicht und einfach nicht vorhanden.

Die Studenten werden sich noch mehr als bisher an überfüllte Hörsäle und lückenhafte Bibliotheken gewöhnen müssen. Denn die Professoren, deren Stellen in der vergangenen Wahlperiode gestrichen wurden, werden die Hochschulen erst in den kommenden Jahren verlassen. Immerhin haben CDU und SPD beschlossen, diesen Schrumpfkurs nicht fortzusetzen. Bei 85.000 Studienplätzen soll es bleiben, langfristig sollen es nach einer unverbindlichen Absichtserklärung wieder 100.000 Plätze werden. Nicht durchsetzen konnte sich die Union mit ihrer Forderung nach Studiengebühren. Bis zum ersten Studienabschluss werden die Studenten auch weiterhin nichts zahlen müssen, für Zweitstudium oder Weiterbildung sind Gebühren allerdings möglich. rab

Finanzen

CDU und SPD können in den übrigen Ressorts die schönsten Pläne aushecken, doch ohne das nötige Kleingeld haben die Experten für den Papierkorb gearbeitet. Dumm nur, dass es den beiden Zwangspartnern in der Haushaltspolitik so geht wie bei allen anderen wichtigen Themen: Es gibt keinerlei Gemeinsamkeiten.

Darauf, dass die Neuverschuldung der Tendenz nach weiter sinken soll, konnten sich die Parteien gerade noch einigen. Beide wissen auch, dass sie das Tempo des Sparens angesichts immer neuer Haushaltslöcher drosseln müssen. Die CDU möchte jedoch wesentlich stärker auf die Bremse treten als die SPD.

Haarig wird es auch bei der Frage, welche Grundstücke oder Gesellschaften das Land zum Stopfen der Löcher verscherbeln soll. Die CDU würde alles Nähere gerne der sozialdemokratischen Finanzsenatorin überlassen – vorausgesetzt, sie behält ihren Job. Die SPD hingegen will die Verkäufe im Koalitionsvertrag möglichst genau festlegen, damit die Union ihre Mittäterschaft später nicht leugnen kann. Offenbar wollen die Koalitionäre 300.000 Wohnungen im Eigentum der Stadt belassen, schließlich hat sich die CDU im Wahlkampf gegen einen „Ausverkauf“ der Wohnungsbaugesellschaften gewandt.

Die Zukunft der übrigen 120.000 Mieterhaushalte in städtischen Wohnungen ist dagegen ungewiss. Als Verkaufskandidatin Nummer eins gilt die Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) mit ihren 72.000 Wohnungen in fast allen Stadtbezirken. Außerdem hoffen die Regierungspartner, einen Käufer für die Großmarkthalle an der Beusselstraße in Moabit zu finden. „Prüfen“ wollen CDU und SPD, ob sich auch die Feuersozietät losschlagen lässt. rab

Gesundheit und Soziales

Der Einzelkampf der städtischen Krankenhäuser ist vorbei. CDU und SPD wollen die zehn Kliniken in städtischer Trägerschaft in einem Unternehmen zusammenfassen. So sollen sie zu Zusammenarbeit und längst überfälligen Reformen gebracht werden. In welcher Rechtsform diese Zusammenarbeit stattfinden soll, ist – entgegen anderslautenden Meldungen – noch offen. Während diese Entscheidung auf die PatientInnen wenig Auswirkungen hat, ist sie für die 25.000 Beschäftigten von großer Bedeutung: Für sie geht es um die Frage, ob sie im öffentlichen Dienst verbleiben.

Geeinigt haben sich CDU und SPD auch darauf, Prävention und Gesundheitsförderung zu stärken, also anzusetzen, bevor der Mensch ein Fall für den Medizinbetrieb wird. Dies soll insbesondere in den sozial schwachen Innenstadtbezirken geschehen. Wie das aber finanziert und umgesetzt werden soll, ist offen.

Ganz strittig ist die Drogenpolitik des neuen Senats. Während es im Zuge der Verhandlungen bereits hieß, Berlins Teilnahme am bundesweiten Modellversuch zur ärztlich kontrollierten Heroinabgabe sei vom Tisch, sollte die Drogenpolitik am gestrigen Abend noch einmal neu verhandelt werden. Hier sind die Fronten hart. Während sich die SPD für die Teilnahme am Modellversuch ausspricht, hat CDU-Innensenator Eckart Werthebach bereits im Vorfeld verkündet, Heroinabgabe und Druckräume seien mit ihm nicht zu machen. sam

Schule, Jugend und Sport

Dürfen ehrgeizige Eltern ihren Nachwuchs schon mit zehn Jahren aufs Gymnasium schicken? Bislang war eine Flucht aus der Grundschule nur für Schüler möglich, die Latein oder Griechisch lernen wollten. Die CDU will dieses Schlupfloch auf Englisch und Französisch ausweiten, doch die SPD fürchtet eine „Rutschbahn“, auf der sich leistungsstarke Schüler aus der Grundschule verabschieden. Einziges Zugeständnis: Spezielle „Leistungskurse“ für die Einserschüler. Keinerlei Einigung gab es bis gestern Abend beim Religionsunterricht. Die SPD will es dabei belassen, dass Religion kein Pflichtfach ist. Die CDU hingegen fürchtet den Untergang des Abendlandes, wenn nicht auch in Berlin pädagogisch unerfahrene Theologen gelangweilten Schülern das Neue Testament eintrichtern. Gegen die irdischen Probleme mit verstopften Schultoiletten und baufälligen Turnhallen wollen CDU und SPD immerhin vorgehen – mit 50 Millionen Mark jährlich. rab

Stadtentwicklung

Die Fehlbelegungsabgabe wird in den Wohngebieten ganz abgeschafft, in denen sie bis 2001 ausgesetzt wurde. Damit sollen solvente Mieter einen Anreiz erhalten, in Problemkiezen wohnen zu bleiben. Beim strittigen Wiederaufbau des Stadtschlosses haben sich CDU und SPD auf einen Kompromiss geeinigt, der alles offen lässt. Bei der Bebauung des bundeseigenen Grundstücks soll der Grundriss des Stadtschlosses eingehalten werden. Die denkmalgeschützten Teile des Palastes der Republik sollen eingebaut werden. Alles weitere entscheidet ein Bauwettbewerb. win

Inneres/Justiz/Ausländer

CDU und SPD haben sich auf eine aktive Integrationspolitik für Ausländer verständigt. Nach dem „Holländischen Modell“ sollen sich Ausländer mit gesichertem Aufenthaltsstatus in einem Integrationsvertrag verpflichten, Deutsch zu lernen. Nur dann erhalten sie auch staatliche Leistungen wie Sozialhilfe. Heftig umstritten war die Asylpolitik. Die CDU will nur noch Sachleistungen an Asylbewerber ausgeben. Außerdem fordert sie die dauerhafte Kürzung der Leistungen auf 80 Prozent.

Unstrittig war, dass die Ausrüstung der Polizei verbessert und Polizeigebäude saniert werden müssen. Letzteres will die SPD dadurch finanzieren, dass Verwaltungsdienststellen aus der Innenstadt an die Peripherie verlegt werden. Dort seien die Mieten niedriger. Die Ersparnisse sollen für die Sanierung verwendet werden.

Um alle grundlegenden Fragen wurde gestern Abend gerungen. Die CDU forderte die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, die Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams und die Einführung des polizeilichen Todesschusses. Justizpolitisch wollen sich CDU und SPD auf Bundesebene für die Verhängung von Fahrverboten einsetzen. Denkbar ist dies beispielsweise in Fällen von Diebstahl, Betrug oder Beleidigung. Auf den Bau eines neuen Haftkrankenhauses in Buch soll möglicherweise verzichtet werden. Die 89-Millionen-Mark-Investition könnte gestrichen werden, wenn das neue Haftkrankenhaus in Hamburg mit genutzt werden könnte. Auch Bremen und Brandenburg nutzen die Klinik bereits. win

Wirtschaft und Arbeit

Da haben CDU und SPD wirklich Überraschendes ausgeheckt: Sie sind der originellen Idee verfallen, Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Hauptstadtmarketing, Tourismuswerbung und Messegesellschaft sollen tun, was sie schon bisher nicht konnten – die Wirtschaftskraft Berlins stärken. Außerdem soll der Senat mit der Wirtschaft einen „Ausbildungspakt“ für Lehrstellen schließen, den guten Willen der anderen Seite vorausgesetzt.

Überall, wo es konkret wird, gibt es noch keine Einigung: Eine Senkung der Gewerbesteuer oder eine Abschaffung der Zweitwohnungsteuer, zwei Forderungen aus dem Wahlprogramm der CDU, lehnte die SPD bis gestern Abend strikt ab.

Auf wenig Gegenliebe stößt auch der Wunsch der CDU, jede zehnte Mark aus Verkäufen von Landesvermögen in mehr oder weniger viel versprechende Technologieprojekte zu stecken. Die SPD würde mit dem Geld lieber den Haushalt sanieren. rab

Verkehrspolitik

Die Straßenbahn war einer der Zankäpfel der Koalitionsverhandlungen. Die SPD konnte sich mit ihrer Forderung nach der Verlängerung einer Straßenbahnlinie im Wedding bis zum Lehrter Bahnhof nicht durchsetzen. Mit dem Bau der Straßenbahn in der Leipziger Straße musste sich die Verhandlungsrunde gestern Abend erneut befassen. Einigkeit herrscht hingegen beim Bau der U-Bahn-Linie 5 vom Alexanderplatz zum Lehrter Bahnhof. Die Baumaßnahmen sollen aber erst 2006 und damit zwei Jahre später als geplant fertig werden. Einig sind sich CDU und SPD auch darin, bis 2007/2008 eine S-Bahn-Verbindung vom Nordring zum Lehrter Bahnhof zu schaffen. Geprüft wird noch die Verlängerung der U-Bahn-Linie 7 über Rudow hinaus bis zum Flughafen Schönefeld.

Zündstoff steckt in der Forderung der CDU, den City-Airport Tempelhof noch mindestens bis 2007 offen zu halten. Die SPD setzte sich dafür ein, den Flughafen wie geplant 2002 zu schließen. Dies sieht der bisherige Konsensbeschluss zwischen Bund, Berlin und Brandenburg vor.

Als dritter Konfliktpunkt sollte gestern Abend über den von der CDU geforderten Ausbau der Westtangente verhandelt werden. LetzteresVorhaben wurde aber als „Verhandlungsmasse“ eingeschätzt. win

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