: Von der Statt-Partei zur Stadtpartei
Wie aus dem am 5. Oktober 1978 gegründeten Wahlbündnis „Alternative Liste“ in fünfzehn Jahren genau das wurde, wogegen es doch eigentlich gegründet wurde – eine etablierte Partei ■ Von Dieter Rulff
Von Anbeginn standen die Grünen in einem seltsam ambivalenten Verhältnis zum originären Feld ihrer praktischen Politik. Die Metropole Berlin war ihnen dort am lebenswertesten, wo sie keine war. Die in Stein gehauene Urbanität war ihnen suspekt, Bauen besaß das Ansehen einer semikriminellen Aktivität, die Brache galt als der eigentliche Inbegriff von Daseinsqualität. In einer geradezu entrückt anmutenden Naturverbundenheit wurden zeitweise Wochenende um Wochenende Bäume und Baulücken gegen eine Fortschrittspolitik verteidigt, die nur noch als zerstörerisch wahrgenommen wurde. Es war die Zeit, in der der Kreis Lüchow-Dannenberg zur alternativen Präform dessen geriet, was später als Toskana zum Markenzeichen sozialdemokratischer Lebenskultur aufblühte. Doch während die italienischen Gefilde als Synonym einer von Ruhrpottmief und moralischen Skrupeln befreiten Genußsucht der 68er-SPDler standen, verbanden sich mit dem VW-Bulli-Tourismus in die Elbwiesen ein hohes Maß eines „Anspruchs“, der schon dem bloßen Dortsein die Aura des Politischen verlieh.
Der Anspruch auf Veränderung war neben dem Leiden an den Verhältnissen der Kitt, der das eher amorphe Agglomerat von Gruppen, Initiativen und Individuen zusammenhielt, das seit dem 5. Oktober 1978 unter dem Titel „Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz“ firmierte. Wo die handlungsleitenden Vorgaben nicht mehr aus den marxistisch definierten Antagonismen der Gesellschaft entwickelt werden konnten, wie noch bei der Linken der siebziger Jahre, wo Kapitalismus- und Systemkritik mit einer häufig mythisch anmutenden Naturverbundenheit und einem auch religiös fundierten rigorosen Pazifismus eine Liaison eingingen, wo sich gleichermaßen dem Geschlechterkampf nach innen wie dem Internationalismus nach außen gewidmet wurde, da war die Klammer der Gemeinsamkeit schwach. Die Alternativen wurden in ihrer Anfangszeit weniger durch eine innere Homogenität zusammengehalten als vielmehr durch eine rigide Abgrenzung, die sie nicht nur durch die etablierten Parteien erfuhren, sondern auch durch die hier besonders verkrusteten gesellschaftlichen Institutionen.
Angetrieben und letztendlich auch geeint wurde dieses Bündnis durch den Willen zur Macht, der sich zunächst als Anspruch auf Kontrolle des staatlichen Gewaltmonopols und der fiskalischen Ressourcen äußerte, später auch nach der Verfügung darüber verlangte. Daß die AL damit begehrte, was ihr doch als ein Grund, wenn schon nicht allen Übels, so doch vieler Mißstände galt, war der Grundwiderspruch, der die internen Konflikte der ersten fünfzehn Jahre dieser Organisation prägte. Er kam in den Debatten um Rotation und Einheitslohn ebenso zum Ausdruck wie in den Auseinandersetzungen um Parlamentarismus, Sozialdemokratisierung und Verbürgerlichung. Konsequenterweise stand am Anfang die Auseinandersetzung mit all denen, deren Ziel nicht die Eroberung, sondern die Zerschlagung des staatlichen Gewaltmonopols war. Daß diese sich gerade mit der Hausbesetzerbewegung im Aufwind befanden, brachte die AL zu ihrer ersten Zerreißprobe. Aus der ging die, theoretisch noch als Spielbein definierte, parlamentarische Strategie als „Sieger“ hervor, die als Standbein gewichteten Basisstrukturen wurden bedeutungsloser und verkümmerten. Die internen Auseinandersetzungen darum führten zu einer ganzen Reihe von Austritten von Vertretern der linken Strömungen. Gleichwohl waren noch über Jahre in den AL-Gremien diejenigen, die offensiv für die parlamentarische Linie eintraten, in der Minderheit, der Apparat war weitestgehend mit Bewegungsfunktionären besetzt. Dieser den Alternativen eigene Widerspruch fand frühzeitig seinen Ausdruck darin, daß die Fraktion gegenüber den Parteigremien, dem Gemeinsamen Ausschuß wie dem Delegiertenrat die politisch bedeutsamere Organisationseinheit der AL wurde. In dem Maße jedoch, wie die alternativen Parlamentarier das öffentliche Bild der AL prägten und zeitweise gar ein politisches Eigenleben entwickelten, sahen sich die Parteigremien mangels Handlungsalternative auf die Rolle eines Kontrolleurs der Parlamentsaktivitäten reduziert.
Zum Ausbruch kam diese Disparität, als sich die AL 1989 zum ersten Mal an einer Regierung beteiligte. Die Partei war nicht in der Lage, dem durch eine gleichermaßen transparente und demokratische wie auch effiziente Art der Entscheidungsfindung Rechnung zu tragen. Die Fraktion wurde von den Basisbereichen von Anbeginn der Koalition durch eine Vielzahl von Einzelforderungen festgelegt. Damit war deren Handlungsrahmen enge Grenzen gesetzt, woraus sich jede Menge Reibungspunkte mit dem Koalitionspartner SPD ergaben. Dieser setzte sich zumeist als der Mächtigere und taktisch Gewieftere durch, das „Krötenschlucken“ fand Eingang in die alternative Tischkultur. Die Mitgliedervollversammlung verkam schließlich zu einem Organ, das gegenüber dem Delegiertenrat, als der eigentlichen Kontrollinstanz, den Fortbestand der Koalition durchsetzte. Ihre manipulative Nutzung machte evident, daß die Basisstrukturen endgültig überholt waren. Daß diese drei Jahre später von der SPD wiederentdeckt werden, mag auf den ersten Blick als ein Treppenwitz der Geschichte erscheinen, doch ist davon auszugehen, daß auch bei der SPD, wenn es hart auf hart kommt, das manipulative das plebiszitäre Moment überwiegen wird.
Die strukturellen Mängel der AL wirkten sich in der rot-grünen Koalition um so gravierender aus, als mit der Vereinigung der beiden Stadthälften ein enormer Handlungsdruck auf die Exekutive zukam. Zwar bewirkte der Zusammenbruch der DDR auch bei der SPD ähnliche ideologische Verwerfungen und Verunsicherungen wie bei der AL, doch setzten sich deren Vertreter im Senat über mögliche Bedenken ihrer Parteigremien hinweg. Der vom Regierenden Bürgermeister Walter Momper und dessen „Küchenkabinett“ entfalteten Vereinigungsdynamik wußte die AL nichts inhaltlich entgegenzusetzen, es blieb die Kritik am autoritären Führungsstil. Damit war das Scheitern der Koalition vorprogrammiert, der Konflikt um die Mainzer Straße war ein eher beliebiger Anlaß.
Daß die AL im Vereinigungsprozeß letztendlich nie über die Rolle eines Korrektivs hinausgekommen ist, verweist auf die Mängel einer Deutschlandpolitik, in der diese Vereinigung schlicht mit einem Tabu belegt war. Nur zäh führte die Partei in den Monaten nach ihrem Wahldebakel vom Dezember 1990 die Auseinandersetzung über die Denktradition, die diese Tabuisierung erst ermöglicht hat. Mit dem rot-grünen Bündnis wurde 1990 auch ein Koalitionskonzept zu Grabe getragen, das die Erringung gesellschaftlicher Mehrheiten als ein additives Zusammenfügen des Wählerklientels zweier Parteien begreift und das entsprechend bei den koalitionsinternen Auseinandersetzungen vorrangig auf die Verteilung der staatlichen Ressourcen abhebt. Je knapper in den letzten drei Jahren die staatlichen Mittel wurden, desto offensichtlicher wurde die Unmöglichkeit einer solchen Strategie. Will sie erneut an die Regierung, wird die AL nicht nur Konzepte für die Verteilung, sondern auch für die Beschaffung staatlicher Mittel vorlegen müssen. Ihre Aufgabe besteht dann im Gestalten und nicht mehr nur in der Bewahrung des Bestehenden gegenüber der Gestaltung durch andere. Während sie in der Stadtbaupolitik dieser Maxime bereits Rechnung trägt, mangelt es ihr in der Wirtschafts- und Finanzpolitik nach wie vor an Konzepten. Dieses sind die letzen Politikfelder, in denen die Alternativen nur geringe Handlungskompetenz aufweisen können. Diese zu erarbeiten wird jedoch mehr erfordern als das Formulieren wirtschafts- und finanzpolitischer Rezepturen, damit würde erneut eine Diskussion um das Selbstverständnis einer sich noch immer weitgehend als links definierenden Partei eingeläutet. Wenn die AL diese Politikbereiche gleichermaßen besetzt, würde sie zwar einen Nachteil an Kompetenz beseitigen, den sie bislang gegenüber der Sozialdemokratie hatte, zugleich würde sie jedoch die letzten Merkmale dessen verlieren, was sie als „alternative“ Partei gekennzeichnet hat. Sie hätte dann das Ziel erreicht, das sie doch gleichermaßen angestrebt wie befehdet hat – sie wäre etabliert.
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