piwik no script img

Von Iren und Menschen Von Ralf Sotscheck

Iren haben es einfach, wenn sie Briten werden wollen: Sie müssen nur einen Oscar, eine Goldmedaille oder einen Nobelpreis gewinnen – oder einen Goldenen Bären. „Briten triumphieren in Berlin“, titelte der Guardian am vergangenen Dienstag, nachdem Jim Sheridan mit Im Namen des Vaters und Ken Loach mit Ladybird, Ladybird die Preise bei der Berlinale abgeräumt hatten. Der eine ist Ire und wurde bisher von der britischen Presse beschuldigt, daß sein Film über britische Fehlurteile ein „IRA-Machwerk“ sei, der andere wurde in Großbritannien schon immer zensiert, verunglimpft und als „Nestbeschmutzer“ hingestellt. Neu ist diese Vereinnahmung freilich nicht: Als die Schauspielerin Brenda Fricker mit dem Oscar für ihre Rolle in dem Sheridan-Film Mein linker Fuß ausgezeichnet wurde, war über Nacht vergessen und vergeben, daß sie Irin ist. „Wenn du sturzbesoffen auf einem Flughafen herumlümmelst, bist du Ire“, stellte sie danach fest. „Gewinnst du aber einen Oscar, bist du Brite.“ Noch unverfrorener funktioniert der Rassismus im Sport. Mitte der sechziger Jahre machte sich der englische Sportkommentator Harry Carpenter über den irischen Golfspieler Christy O'Connor lustig, der nach der ersten Runde bei den britischen Meisterschaften auf dem vorletzten Platz lag. Nach einer sensationellen letzten Runde war der flugs naturalisierte „britische Golfer O'Connor“ plötzlich vorne. Als die englische Fußball-Nationalmannschaft bei den Europameisterschaften 1988 in Deutschland gegen das irische Team ausschied, wurden die Iren umgehend zur „englischen B-Mannschaft“ erklärt.

Nicht nur Menschen, sondern auch Tiere können sich die britische Identität verdienen. Als vor einigen Jahren das irische Pferd „Santa Claus“ mit ein paar Längen Vorsprung vor dem englischen Favoriten „Oncidium“ das britische Derby gewann, wies der Fernsehreporter pausenlos darauf hin, daß der Trainer des Tieres, John Oxx, in England geboren sei. Daß er im Alter von ein paar Monaten nach Irland umzog, spielte dabei keine Rolle. Und auch „Santa Claus“ habe ja englisches Blut in sich, meinte der Reporter. „Wenn man genügend Generationen zurückgeht, wird man in vielen Pferden einen Tropfen englischen Blutes finden“, räumte Oxx ein. „Wieder mal ein großartiger britischer Doppeltriumph“, frohlockte der Reporter.

Genauso schnell wie man zum Ehren-Briten wird, kann man bei grober Dummheit aber auch zum Iren degradiert werden. Diese Erfahrung mußte der Funktionär machen, der beim letzten englischen Grand National den Fehlstart nicht abgewunken hatte. Das berüchtigte Pferderennen mußte zum ersten Mal in seiner Geschichte für ungültig erklärt werden. „Solche Farce wäre nicht mal in dem kleinen, rückständigen Irland passiert“, schämte sich der Pferdetrainer John Upson – konnte jedoch wieder ausgebügelt werden, als die Boulevardpresse bei dem schuldigen Funktionär eine irische Urgroßmutter ausmachte.

Einmal haben die Iren den Spieß umgedreht – ausgerechnet beim Herzog von Wellington, der in Dublin geboren ist und später Napoleon besiegte. Als er in einer Zeitung als Ire bezeichnet wurde, empörte er sich: „Wer in einem Stall geboren ist, muß noch lange kein Pferd sein.“ Irgendwie gilt das wohl auch umgekehrt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen