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„Von Greenpeace lernen“

Interview BARBARA DRIBBUSCH und HANNES KOCH

taz: Verdi wurde im März gegründet, um die Gewerkschaften aus der Krise zu führen. Viele Leute fragen sich aber heute, warum sie überhaupt noch in eine Gewerkschaft eintreten sollen.

Frank Bsirske: Ja, und auf diese Frage muss eine Gewerkschaft immer wieder neue Antworten geben. Und die grundlegende Antwort für die Notwendigkeit des Zusammenschlusses aller abhängig beschäftigten Menschen ist eben, dass es vielen Menschen erst im Zusammenschluss mit anderen möglich wird, ihre eigenen Interessen wirksam zu behaupten und gesellschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen. Auch Individualität hat ihr Fundament in kollektiven Sicherungen. Und Gewerkschaften setzen der herrschenden Logik, den Profit zu steigern, eine eigene Logik entgegen: Nämlich das Interesse der arbeitenden und arbeitslosen Menschen an Beteiligung und sozialer Sicherung.

Die kollektive Durchsetzung ist in der jüngsten Vergangenheit aber ins Zwielicht geraten. Über den Streik der hoch verdienenden Lufthansa-Piloten haben sich viele aufgeregt. Fanden Sie den Streik in Ordnung?

Über den Streik haben zunächst einmal die Piloten selbst entschieden. Das ist ihr gutes Recht. Das Problem des Streiks lag in der Gefahr, die Belegschaft zu entsolidarisieren und zu spalten. Es wurde nach dem Muster verfahren: Erst kommen wir, dann eine ganze Weile nichts, dann kommen wieder wir, und dann wieder eine Weile nichts, und dann überlegen wir, wer jetzt dran sein könnte, und das sind im Zweifelsfalle wieder wir. Ein solches Herangehen droht in die Belegschaft eine Kultur des „jeder gegen jeden“ einzupflanzen. Das führt, wenn alle Belegschaftsgruppen sich das zu Eigen machen, gegen die Wand. Mir fallen spontan mindestens zehn Gruppen ein, die ein Unternehmen sofort lahm legen könnten. Das Prinzip taugt nicht für fortgesetzte Wiederholung. Es scheitert, wenn andere Gruppen es sich zu Eigen machen. Am Ende gäbe es nur Verlierer. Deshalb halte ich es für notwendig, Differenzierungen in der Belegschaft Rechnung zu tragen, die Tarifpolitik aber nach ihren Auswirkungen auf die Gesamtheit der Beschäftigten zu konzipieren.

Ver.di hat drei Millionen Mitglieder, die aus sehr unterschiedlichen Branchen und Berufen kommen. Wie kann eine so große Gewerkschaft überhaupt ein Kollektiv bilden, das die Interessen dieser unterschiedlichen Beschäftigten glaubhaft vertritt?

Wir müssen heute in der Tat Solidarität aus der Vielfalt entwickeln. Da kann nicht alles über einen Kamm geschert werden. Wenn es beispielsweise um die Durchsetzung der Interessen von Erzieherinnen geht, müssen das die Erzieherinnen schon selbst machen. Andererseits, wenn es um gemeinsame Interessen, wie beispielsweise die Sicherung einer leistungsfähigen gesetzlichen Krankenversicherung geht, kann eine große Menge mobilisiert und das Gewicht einer großen Organisation in die Waagschale geworfen werden.

Sie haben immer betont, dass Sie auch Arbeitnehmer und Freiberufler aus den neuen Medienbranchen in Ver.di einbinden wollen. Bei Ver.di arbeiten etwa 5.000 Menschen. Davon kümmern sich aber nur etwa 20 Leute, also nicht mal ein halbes Prozent, um Beschäftigte in der New Economy. Warum sind das so wenig?

Das war die Startaufstellung im Vorfeld von Ver.di. Zwischenzeitlich ist die Nachfrage nach Beratung und Unterstützung derart angestiegen, dass wir die Mittel dafür verdreifacht haben.

Wenn man mit Beschäftigten aus der Informationstechnologie-Branche spricht, dann hört man öfter: Einen Betriebsrat hätten wir schon gerne. Aber wir wollen um Gottes Willen nichts mit der Gewerkschaft zu tun haben! Die Gewerkschaften gelten als veraltete, schwerfällige Apparate. Wie wollen Sie diese kulturelle Kluft schließen?

Das Problem ist nicht zu unterschätzen. Die Gewerkschaften insgesamt bilden noch zu sehr die Arbeitswelt der 50er-Jahre ab. Frauen waren da in der Minderheit, ebenso Angestellte, Honorar- und Teilzeitbeschäftigte. Ver.di ist da allerdings schon weiter. Über 50 Prozent unserer Mitglieder sind Angestellte, 50 Prozent sind Frauen. Sie sehen: in Ver.di bewegt sich etwas. Wir sind dabei, den Anschluss an die moderne Arbeitswelt zu finden.

Vielen Beschäftigten fallen beim Begriff „Gewerkschaft“ aber vor allem die traditionellen Tarifrituale ein. Wie kann man dieses Image ändern?

Da können wir zum Beispiel von Greenpeace lernen und ihren unorthodoxen Aktionen. Auch wir müssen in die Gesellschaft hineingehen und uns für neue Aktionsformen öffnen, wie wir das beispielsweise bei einer großen Drogeriekette gemacht haben. Als dort die Beschäftigten von ihrer Geschäftsführung drangsaliert wurden, haben wir die Kunden mobilisiert und Personen des öffentlichen Lebens als Paten für die Beschäftigten gewonnen.

Das Beispiel mit Schlecker bringen Sie immer wieder in Ihren Reden. Gibt es noch ein anderes?

Es gibt weitere, aber ich finde, noch viel zu wenige.

Wenn wir bei der Politik sind: Sie haben zu 50 Prozent Frauen in Ihrer Mitgliedschaft. Warum haben Sie dann nicht vehementer für das Gleichstellungsgesetz gekämpft, dass Frauen in der Privatwirtschaft unterstützen sollte?

Wir haben keinen Zweifel daran gelassen, dass wir ein solches Gleichstellungsgesetz wollen, haben uns damit aber nicht durchsetzen können. Das Thema Gleichstellungsförderung bleibt aber auf der Tagesordnung, beispielsweise im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ver.di wird sich für die Ausweitung des Krippenangebots, des Angebots an Hortplätzen und an Ganztagsschulen einsetzen. Hier liegt ein wichtiger Schlüssel. Für die Kinderfreundlichkeit wie für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine Verbesserung des Betreuungsangebots viel wichtiger als die Frage, ob der Familienvater auf seinem Konto 30 Mark mehr hat oder nicht.

Aber wie sieht es mit den traditionell linken Zielen aus? Im Ver.di-Bundesvorstand sitzen die eher links ausgerichteten Vorsitzenden der Gewerkschaften Handel Banken und Versicherungen und der IG Medien. Auf dem Ver.di-Gründungskongress fasste ein Delegierter die neue Richtung mit den Worten „links und modern“ zusammen. Sind Sie selbst Vertreter eines Linksrutsches?

Ich stehe für stärkere Beteiligung der Mitglieder, Dialogbereitschaft, auch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, und trete dafür ein, dass die Menschen die Möglichkeit haben, die gesellschaftlichen Verhältnisse mitgestalten zu können. Wenn Sie das meinen, wenn Sie von „links und modern“ sprechen, kann ich mich damit identifizieren.

Was heißt das konkret?

Wir sind als Gewerkschaft ÖTV zum Beispiel im November vergangenen Jahres Mitglied in der globalisierungskritischen Bewegung Attac geworden und Ver.di hat diese Mitgliedschaft übernommen.

Viele Mitglieder von Attac wollen beim G-8-Gipfeltreffen in Genua auf die Straße gehen und gegen die unsozialen Folgen der Globalisierung protestieren. Werden da auch Leute von Ver.di dabeisein?

Bei drei Millionen Mitgliedern kann ich das nicht ausschließen.

Wie können Sie weiter die Botschaft „links und modern“ transportieren? Müssten da nicht noch weitere konkrete Ziele her, etwa in der Sozialpolitik?

Ja, die anstehende Reform der gesetzlichen Krankenversicherung wird Ver.di von Anfang an aktiv begleiten. Wir wollen keine Aufspaltung in Grund- und Wahlleistungen. Qualität und Effizienz müssen verstärkt in den Blick genommen werden. Zum Beispiel muss es eine Positivliste für gute und billige Medikamente geben. Die ambulante Versorgung muss Priorität genießen und mit der stationären verzahnt werden. Auch die Arbeitsbedingungen derjenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, dürfen nicht ausgeblendet werden.

Sie selbst sind Mitglied der Grünen. Die Grünen fordern, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen, was faktisch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bedeutet. Was halten Sie davon?

Ich sehe mit Sorge, dass bei den Grünen Kräfte am Werk sind, die die Partei in Richtung einer grünen FDP drängen wollen. Freilich war die Idee, die Tarifverträge nach unten zu durchlöchern, nach kurzer Zeit wieder vom Tisch. Die Grünen haben sich in dieser Frage klar positioniert.

Ich bin deswegen optimistisch, dass die Grünen ihr sozial-ökologisches Profil wieder schärfen und in der Frage der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe keinen Zweifel daran lassen, dass wir eine bedarfsorientierte Grundsicherung brauchen, und nicht eine Entwicklung befördern, bei der am Ende jede Arbeit angenommen werden muss zu jedem Preis.

Sie haben den Beschäftigten im öffentlichen Dienst in der nächsten Tarifrunde im Jahr 2002 „einen kräftigen Schluck aus der Pulle“ versprochen. Wie hoch müsste der Abschluss sein?

Eine solche Formulierung habe ich nicht gebraucht. Starke Sprüche sind nicht mein Ding. In der Sache selbst halte ich weitere Abschlüsse unterhalb des Produktivitätszuwachses für falsch, weil das unterm Strich Umverteilung zu Gunsten der Gewinne bedeuten würde.

Die Produktivität steigt voraussichtlich in diesem Jahr um knapp zwei Prozent. Reichen Ihnen zwei Prozent?

Nein.

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