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Von Behörden, Bauern und Billwerder

■ Landwirte müssen Flächen fürs neue Wohngebiet Billwerder-Ost abtreten Von Heike Haarhoff

„Ich schwöre zu Gott, daß ich der Freien und Hansestadt Hamburg hold sein, die Gesetze gewissenhaft beobachten und alle Steuern redlich entrichten will.“ Ein feierliches Gelöbnis gegenüber dem Landherrn der Marschlande legte Landwirt August Matthias Stubbe am 28. Februar 1861 ab, bevor er den Hof seines Vaters im heutigen Billbrook übernahm. 134 Jahre später kramt Urenkelin Elke Stubbe Urkunden, Briefe, Bilder – vergilbte Zeugen der Familienchronik – aus einem Schuhkarton hervor: „Die wenigsten in der Behörde wissen, was es bedeutet, wenn sie uns das Land wegnehmen.“

Zwischen 15 und 43 Prozent ihrer gepachteten (städtischen) Ackerflächen sollen die zehn verbliebenen Bauernhöfe in Billwerder – vier davon werden von Stubbe-Nachfahren betrieben – für den Bau der geplanten Groß-Siedlung Billwerder-Ost abtreten. Dort – nördlich der Bahnlinie und westlich von Bergedorf-West – sind 3000 neue Wohnungen und 60 Hektar Gewerbefläche geplant. Viele Betriebe fürchten, nicht mehr konkurrenzfähig zu sein, wenn ihre durchschnittlich 40 bis 70 Hektar großen Höfe noch weiter abgespeckt werden. Und einige sehen ganz nebenbei die eigene Identität bedroht.

Seit dem 17. Jahrhundert beackern die Stubbes die Vier- und Marschlande. 1908 muß die Familie – unfreiwillig – nach Billwerder umsiedeln: Hamburg erklärt die Flächen des heutigen Billbrook zum Hafenerweiterungsgebiet. Aus dem gleichen Grund verkaufen die Stubbes nur zwei Jahre später auch Haus und Hof in Billwerder an die Stadt und sind seither Pächter. Alle zwölf Jahre wurde der Vertrag bisher verlängert. Doch die Unsicherheit bleibt: „Man steckt alles in den Hof. Wir hängen an der Scholle. Aber weil uns stets gekündigt werden kann, trauen wir uns nicht mehr, langfristig zu planen.“

Ein Konflikt, der der Stadtentwicklungsbehörde (Steb) bekannt ist: „Wir suchen nach einer Lösung, die für alle annehmbar ist“, verspricht Steb-Sprecher Bernd Meyer. Denn auch die Stadt – dringend nötige neue Wohnungen hin oder her – setzt sich grundsätzlich für den Erhalt der Bauernhöfe ein und ließ hierzu eigens ein Gutachten erstellen. Die Höfe passen nämlich bestens in das Senats-Konzept „Kulturlandschaftspark Billwerder“. Ein Kompromiß wäre, die neue Siedlung an der „alten Wetterung“ enden zu lassen, wie es ein Plan der Umweltbehörde von 1990 vorsieht. Das würde ihren Flächenverlust in Grenzen halten, finden die Stubbes. Doch über den städtebaulichen Entwurf für Billwerder-Ost ist noch nicht entschieden.

Elke und Friedrich Stubbe hatten die Entwicklung schon frühzeitig geahnt und deshalb vor Jahren vom reinen Ackerbau auf Gemüseverkauf im Hofladen und auf einen Reiterhof umgesattelt. „Wenn die Stadt uns zwingt, daß wir uns ein zweites wirtschaftliches Standbein zulegen, soll sie die nötige Starthilfe gewähren“, fordert Elke Stubbe. Die Landwirte können sich als Nebenerwerb ein erweitertes Reitwegenetz mit Pferdeverleih, einen Schulbauernhof, Ferienwohnungen und Fahrradverleih vorstellen. „Die Stadt muß das honorieren, Beihilfen zur Produktionsumstellung leisten und die sozialen Bedingungen verbessern“, sandten die Bauern ihre Vorschläge jetzt an die zuständigen Behörden. Die geloben, alles zu prüfen und dabei – wie einst August Matthias Stubbe – „die Gesetze gewissenhaft zu beo-bachten“.

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