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Von Auslaufmodellen und anderen Schlüsselfragen Von Klaudia Brunst

Ich bin bestimmt der einzige Mensch in Berlin, dem ein Dieb sein Fahrrad mangels Interesse wieder zurückgegeben hat. Nur drei Tage nach dem Raub stand es unversehrt wieder an seinem alten Platz. Den Zettel des Täters „Absolut unverkäuflich. Mit bestem Dank zurück!“ ließ ich als Warnhinweis für mögliche Nachahmer an der Lenkerstange hängen.

Mir persönlich ist mein altes Karstadt-Fahrrad seitdem aber derart ans Herz gewachsen, daß ich ihm letzten Monat sogar einen neuen Sattel schenkte. In dem kleinen Fahrradgeschäft an der Ecke hatten sie nämlich einen formschönen Ledersitz um zehn Mark herabgesetzt. „Ein Auslaufmodell“, erklärte der Verkäufer den Preisnachlaß, „werden Sie noch viel Freude dran haben!“

Das sah ich allerdings bereits drei Tage später völlig anders. Nicht nur, daß ich mir nun doch wieder ein Fahrradschloß zulegen mußte, nein: der schöne Sitz verlor zudem stündlich seine Façon! „Ein Auslaufmodell eben!“ meinte meine Freundin achselzuckend, „Da mußt du jetzt wohl jeden Tag die Spannschraube nachziehen. Wer billig kauft, kauft eben doch teuer.“ Damit hatte sie leider nicht ganz unrecht, denn natürlich fehlte in meinem Bordwerkzeug ausgerechnet der auf die Spannschraube passende 14er-Schlüssel. Gleich am nächsten Morgen kehrte ich also erneut in den kleinen Fahrradladen ein, um mir das fehlende Werkzeug auszuborgen. „Da kann ich ihnen beim besten Willen nicht helfen“, meinte der Verkäufer bedauernd. „Wenn es nämlich ein Original-Brooks-Ledersattel ist, brauchen sie den Original-Brooks-Spannschlüssel. Wenn nicht, dann nicht.“ Eigentlich war ich mir absolut sicher, daß unter meinem Sattel eine 14er- Schraube auf einen 14er-Schlüssel wartete. Sicherheitshalber bat ich den Fachmann aber doch, sich das Modell eben selbst anzuschauen. „Jute Frau!“, wurde der Verkäufer nun plötzlich volkstümlich. „Wir ham hier wat anderet zu tun, als uff olle Räder zu kieken! Wennse den bei uns jekooft ham, isset en Bruuks. Wir ham nämlich nur noch Bruuks.“ – „Dann geben sie mir doch bitte einen entsprechenden Schlüssel“, meinte ich immer noch sehr höflich, erntete aber wieder eine Abfuhr. „Nee, den müssense schon koofen! Kost acht-fuffzich. Müstick nämlich vom Lager holen!“

Gegen Vorkasse setzte er sich schließlich in Bewegung, und kam eine halbe Stunde später mit einer ringförmigen Metallöse wieder, von der ich absolut sicher war, daß sie nicht an meinen Sattel passen würde. „Dett paßt schon!“ meinte mein Gegenüber jovial und hielt mir entnervt die Tür auf. Natürlich paßte der Schlüssel nicht.

Demonstrativ schob ich mein Fahrrad in den Laden und zwang den Verkäufer damit, seinen Fehler vor versammelter Kundschaft zuzugeben. Mißmutig riß er solange an dem schönen Sattelleder herum, bis er die Schraube erkennen konnte, ohne sich unter den Sattel zu beugen. „Gute Frau!“ wurde er nun wieder förmlich, „Das ist ja gar kein Brooks! Für den brauchen sie einen 14er!“ Unter Wutausbrüchen der sehr volkstümlichen Art („Weiber!“) quälte er sich ein zweitesmal ins Lager und schmiß mir schließlich einen verstaubten 14er vor die Füße. „Macht elf-vierzig“, bellte er mich an. „Und beim nächsten Mal sagste gleich, waste brauchst!“

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