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Archiv-Artikel

HILFLOSE PERSON Vom Winde verweht

Plötzlich stand Clark Gable an der Friedrichstraße vor mir

Übrigens geht das mir als Schriftstellerin ja jedes Mal voll auf die Ketten, wenn wieder jemand sagt, das Leben schreibe die besten Geschichten. Wofür sitzt man denn hier und tippt sich die Finger wund?! Wofür zermartert man sich denn das Hirn nach guten Pointen?

Das Leben ist eine lausige Erzählerin. Kein Gefühl für Dramaturgie und ständig zu dick aufgetragen. Heute zum Beispiel war mir abends zu kalt, um mit dem Fahrrad von Mitte nach Hause zu fahren. Deshalb dachte ich, fahr ich S-Bahn ab Friedrichstraße. Ich hasse ja Friedrichstraße. Die Treppen sind viel zu schmal für diese Massen an Menschen, die da ständig hoch- und runterrennen. Und dann war der Fahrstuhl kaputt. Ich stand mit dem Rad inmitten der Massen genauso wie Scarlett O’Hara in „Vom Winde verweht“, wenn die Yankees Atlanta angreifen. Ich überlegte, ob ich einfach anfangen sollte zu heulen. Ich darf das Fahrrad nämlich nicht allein tragen. Wegen Rücken und so.

Und plötzlich stand Clark Gable vor mir und trug mein Fahrrad die Treppe runter. Also ein alter Freund stand da. Ich ließ für ihn drei Bahnen fahren, dann stieg ich ein. Die Bahn fuhr bis Nordbahnhof. Dann kam die Durchsage: „Werte Fahrgäste! Technischer Defekt! Zug endet hier!“ In die nächste Bahn kam ich nicht rein. Die übernächste fuhr nur bis Gesundbrunnen. Dort hieß es: „S 1 fällt aus! Hilflose Person im Zug. Die S 1 fällt leider aus.“ Okay, dachte ich, fahr ich ab hier mit dem Rad. „Außer Betrieb“, leuchtet der rote Knopf am Fahrstuhl. Ich hab das Fahrrad dann irgendwie über die Rolltreppe nach oben gestemmt.

Und als ich endlich zu Hause bin, liegt da ein Brief im Briefkasten, wo drinsteht, dass mir ein Scheck über 200 Euro geplatzt ist. Da hab ich dann doch noch geheult. Später haben wir „Vom Winde verweht“ geguckt, und ich dachte die ganze Zeit: Wie das Leben, es kommt immer noch schlimmer. LEA STREISAND