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Vom OrdeSchullermann

Wundersame Vermehrung der Anzeigenblätter - Wie der Kampf um Anzeigen  ■ kunden Zeitungen in Kundenbriefe verwandelt und Redakteure

in Anzeigenakquisiteure

Der Kampf der Bremer Anzeigenblätter, wer denn nun schwindelerregendste Leserzahlen am seriösesten belegen kann, ist am letzten Wochenende durch das unvermutete Auftauchen eines neuen Konkurrenten in eine ebenso spannende wie erhellende Phase getreten.

Begonnen hatte alles mit dem Muskelzeigen des Weser -Report. Ebenso geschickt, wie er sich vor kurzem mit der Kapitalbeteiligung der Neumänner seines Rufes als CDU -Dreckschleuder zu entledigen trachtete, avancierte er nun, so Report-Rekordschreiber Ronald K. Famulla, „zu der Zeitung, die in Bremen die meisten Leser hat, nämlich 308.000“. Hatten Marktforscher

der Bremer Firma Czaia herausgefunden. Nun stimmt das aber gar nicht. Denn die Statistik lehrt, daß die „zwei sympathische Wochenblätter für die ganze Familie“ die meisten Leser haben, nämlich Bremer Anzeiger (vom Mittwoch) und Bremer Anzeiger (vom Sonntag).

Für diese hatte Infas & Ennemann ein ungewöhnliches „Leserwachstum“ zwischen 1985 und 1988 herausgefunden. Die Leser beider Zeitungen waren, völlig unabhängi voneinander, auf 348 bzw. gar 357.000 gewachsen. (Falls das auch nur in Zentimetern erhoben wäre, wären die Leser am Sonntag 3570 am Mittwoch aber nur 3480 Meter groß geworden). Auf jeden Fall wird der sympathische Anzeiger am Sonntag von 87 % aller über 50jährigen gelesen, nur noch übertroffen von 88 % aller Teen

ies unter 19 Jahren, totale Jahrgangserfassungsergebnisse, die bisher nur die Prawda unter Stalin, bzw. die CSU unter Strauß erreicht hat.

Völlig unabhängig vom Bremer Anzeiger, von dem er 24,9 Prozent besitzt, meldete sich in der Wochenend-Ausgabe von WK/BN Herbert C. Ordemann für den Bremer Anzeigenblock, dem Weser-Kurier und Bremer Nachrichten gehören, mit 320.000 täglich erbeuteten Lesern zu Wort. Dies gleich zweimal: als Informant im Artikel seines Lokalredakteurs Axel Schuller und nochmal als Selbstanzeige über alle Spalten und unter dem leuchtend lila Rubrum „Kontaktstark“. Aber noch der Metamorphosen nicht genug: Herbert C. Ordemann ist nicht nur gleichzeitig kontaktstarke Anzeige und „souveräner“ (so Schuller) An

zeigenblock, er tritt zudem in Schullers Artikel unabhängig voneinander zuerst als Meinung des Lokalredakteurs Schuller und dann als seine eigene auf: Von Leserstatistik könne ohnehin nur bei gekauften oder abonnierten Blättern und nicht bei Gratis-Anzeigenblättern die Rede sein (wie bei seinem Bremer Anzeiger, der am gleichen Tag die gewachsenen Leser statistiert.)

Da muß die Anzeigennot wohl groß sein, wo der Verleger seine Post an die aufgeschreckten Anzeigenkunden schon auf dem Papier des „redaktionellen“ Teils der Zeitung drucken läßt, Fremd- durch kontaktstärkere Eigenanzeigen ersetzt und schließlich die Anzeigenaquisition dem umtriebigen Lokalredakteur überträgt und damit aus Bremens letzter großer Tageszeitung ein Anzeigenblatt macht.

Uta Stolle

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