■ Vom Nachttisch geräumt: Höflichkeit
Der knappe Briefwechsel Thomas Mann-Benedetto Croce ist auf deutsch an entlegener Stelle schon herausgebracht worden. Ein kleiner Verlag in Neapel hat die Korrespondenz, ergänzt durch die wichtigsten Arbeiten Croces über Thomas Mann, in einem kleinen Bändchen auf italienisch herausgebracht. Die Briefe Thomas Manns sind auch auf deutsch abgedruckt. 1930 schickte der italienische Philosoph seinen Aufsatz Antihistoricismo an Thomas Mann, der sich freundlich dafür bedankte, hervorhob, was ihm daran besonders gefiel — „Die Zeitkritik, die Sie darin üben ... ist heute notwendig wohl für alle Völker Europas, vielleicht am meisten aber für uns Deutsche, die wir nur allzu sehr ein Volk des voraussetzungslosen Immer-Neu-Beginnens und der Geschichtsvergeßlichkeit sind“ — und als Croce etwas später ihn bat, seine Introduzione ad una storia d'Europa nel secolo decimonono dem deutschen Autor widmen zu dürfen, da gewährte ihm dieser das freudig, und als das Buch dann vorlag, da schrieb er dem gelehrten Neapolitaner: „Ich lese viel und aufmerksam in dem Buch, und obgleich die Sprache bewirkt, daß ich Ihr Werk wie durch einen Schleier sehe, so wird das geistige Licht, das daraus scheint, durch diesen Schleier doch kaum gedämpft. Ich bewundere Ihr ungeheures Wissen, Ihre lebendige Darstellungskunst...“ Schön gesetzte Worte. Aber gelogen. Thomas Mann konnte weder Croces Postkarten, geschweige denn seine Briefe lesen. Dazu reichte sein Italienisch nicht aus. Er schickte alles an den Romanisten Karl Vossler, der es ihm übersetzte, so daß der Meister freundlich und höflich antworten konnte.
Croce-Mann, Lettere 1930-1936, con una scelta di scritti crociani su Mann e sulla Germania. Prefazione di Ernesto Paolozzi, nota introduttiva di Emanuele Cutinelli Rèndina, traduzione e note di Rosario Diana, Flavio Pagano Editore, Piazza San Domenico Maggiore, 9, Monumentale Palazzo San Severo, I-80134 Neapel, 79Seiten.
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