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Vom Lichtspielwesen

■ DEFA-Souvenirs: Geschichte und Geschichten

aus der Babelsberger Traumfabrik

Eine Serie von Christoph Busch

Seit wenigen Tagen ist die DEFA eine GmbH. Sie darf in der nächsten Saison noch sechs waschechte DDR-Filme produzieren, aber das Rezept für die Zukunft lautet: Auslandsaufträge. Als erster kam Loriot. Er dreht in Babelsberg „Papa ante portas“. Dennoch warten viele DDR-Filmschaffende zur Zeit auf ihre Entlassungspapiere: Die Zukunft der DEFA ist undurchsichtig. Eine Ursache sind Nachwirkungen der Vergangenheit: Abgestufte Privilegien, Konflikte zwischen „Künstlern“ und Belegschaft, zwischen ästhetischem Anspruch und Schrebergartenpflichterfüllung. Das DDR-Filmwesen war eingeklemmt zwischen Zensur und der Kunst der indirekten Rede einerseits und den soliden Arbeitsbedingungen andererseits. Christoph Busch hat für seine fünfteilige Serie (jeweils donnerstags) in den Annalen gekramt, Experten konsultiert und mit Mitarbeitern gesprochen. Heute: die DEFA -Gründerjahre.

1912, in der Frühzeit deutscher Filmgeschichte, errichtet die Filmfirma Bioscop in Babelsberg das erste Atelier. Wenig später führt der deutsche Generalstab den unerfreulichen Verlauf des Ersten Weltkriegs unter anderem auf schlappe Propaganda zurück. Damit das nicht wieder vorkommt, wird in Regie der Deutschen Bank die Ufa (Universum-Film-AG) gegründet. Die baut ab 1921 Babelsberg zu ihrer zentralen Filmfabrik aus.

„Das Filmgelände der Ufa umfaßt ein Areal von 530.000 Quadratmeter und enthält als einziges in Europa fast alle wichtigen Landschafts- und Straßenmotive. In den 62 Gebäuden sind etwa 250 Garderoben, Regie-, Friseur- und Baderäume vorhanden. Es ist möglich, gleichzeitig Aufnahmen mit 2.500 Darstellern zu machen. Erst in diesem Falle wären alle Garderobenräume besetzt. Die Zahl der Menschen, denen die Ufa Brot und Arbeit gibt, übersteigt die Einwohnerzahl des Fürstentums Lichtenstein. Das Funduslager der Ufa könnte aus den Treppenstufen, die für Atelierbauten benötigt werden, eine Treppe auf den Gipfel des Brocken anlegen. Die Ufa hat in ihren großartigen Bauten so viel verarbeitetes Holz, wie aus einer Waldallee geschlagen werden kann, zu deren Durchquerung ein rüstiger Fußgänger 25 Minuten braucht.“ Mit derartigen Rechenaufgaben preist die Nazi-Ufa 1935 in einem Werbeprospekt die gigantischen Ausmaße der „größten und modernsten Aufnahmebetriebe Europas“.

Je länger der Krieg dauert, desto voller werden die Kinos und desto „unpolitischer“ unterhaltend die Filme. So wird auch in Babelsberg gedreht bis zum letzten Schuß. Alfred Weidenmann inszeniert gerade Die Schenke zur ewigen Liebe, als sowjetische Stalinorgeln aufs Ateliergelände rollen. Der Boden zittert, Panzer dröhnen. Die Ufa-Leute werden aus den Bunkern geholt, ein russischer Offizier, „der weiß, was der Name Ufa bedeutet“, hält in gebrochenem Deutsch eine kurze Ansprache. „Diese Ehre wiederfährt nicht jedem Häftling in jener Zeit“, merkt 1955 Wissen Sie noch?, ein im Westen erschienenes Büchlein von 1955 an. Dieser Quelle ist auch zu entnehmen, daß nach 14 Tagen fast alle der vorübergehend abgeführten Ufa-Männer wieder in Babelsberg eintreffen. „Man beschäftigte sie nur mit Aufräumungsarbeiten und entließ sie dann: Haut ab! - Glück gehabt.“ Die Ufa-Leute hausen auf dem Gelände der Filmstadt. Hier liegen zu diesem Zeitpunkt 15.000 Tonnen Schutt und 300 Tonnen Schrott. 3.600 Meter Zaun sind zerstört. Plünderer holen stapelweise Filmrollen aus den Bunkern, können damit nichts anfangen, bestenfalls ein kleines Feuerwerk.

Die alte Ufa-Leitung setzt sich mitsamt Zentrale, 100.000 -Mark-Telefonanlage und Tresorinhalt „in aller Stille“ in den Westteil Berlins ab, wie das Westbüchlein schulterklopfend bemerkt. Wenn Sowjets sowas machen, heißt es „Demontage“. Und angeblich machen sie das in Babelsberg. „Als der große unersätzliche Schwenkkran zerlegt und verladen wird, stehen den Ufa-Männern Tränen in den Augen.“ Die DDR-Filmwissenschaftlerin Christiane Mückenberger schreibt 1981 das Gegenteil: Babelsberg wird „nicht demontiert, sondern mit Hilfe von sowjetischen Spezialisten, erheblichen Geldmitteln und sowjetischen Ausrüstungsgegenständen wieder instandgesetzt“.

Jedenfalls übernimmt 1945 ein „Filmaktiv“ den Rest im Osten und den Wiederaufbau. Mit dabei: Kurt Maetzig (Das Kaninchen bin ich), der in der Nazizeit wegen der jüdischen Abstammung seiner Mutter nach Promotion und Regieassistenz nur als Kameramann einer kleinen Trickfilmfirma arbeiten durfte. Die Aktivisten werden Keimzelle der DEFA (Deutsche-Film-AG), die offiziell am 17.Mai 1946 von der sowjetischen Verwaltung ihre Lizenz zur Filmherstellung erhält. Beim feierlichen Akt in einer geschmückten Babelsberger Atelierhalle sagt der Vertreter der KPD: „Der Film darf nicht mehr Opium des Vergessens sein, sondern soll den breiten Schichten unseres Volkes Kraft, Mut, Lebenswillen und Lebensfreude spenden.“

Diese Produktion ist schon vor der Feier angelaufen. Zuerst als Puzzle: Im Winter 1945 bringen Soldaten dem sowjetischen Film-Oberst Galperin Unmengen Negativmaterial, das sie in einem Babelsberger Keller gefunden haben. Es sind Teile der Fledermaus. Geza von Bolvary hatte sie bei der Flucht aus Prag Anfang 1945 mit nach Berlin genommen und an verschiedenen Stellen untergebracht. Galparin holte 300.000 Mark und die Fledermaus-Schnittmeisterin Alice Ludwig zur Hilfe. In Wissen Sie noch? kommt Galparin nicht vor, und der Rest liest sich so: „Die russischen Posten haben sich in die warme Wachstube verkrochen und achten kaum auf die dick vermummte Frau, die sich in den Bunkern zu schaffen macht. Zu holen gibt es hier doch nichts mehr. Trotzdem kommt die Frau täglich und wühlt in den alten Filmstreifen...nach ein paar Wochen kümmert sich niemand mehr um die Verrückte. Aber die Verrückte weiß genau, was sie will“ und schreibt selbst am 27.Juli 1946 in der 'Berliner Zeitung‘: „Mit einigen getreuen Helfern durchstöberte ich zunächst die Filmbunker in Babelsberg. Bei grimmiger Kälte und ungenügender Beleuchtung sichteten wir viele 1.000 Meter Negativ- und Positivstreifen, die in einem großen Durcheinander den Boden bedeckten. Die Bruchstücke von zahllosen alten und neuen, bekannten und nicht vorgeführten Spielfilmen ruhten unter Bergen von Dreck und Trümmern, sie hingen sogar in den Bäumen, lagen auf allen Wegen und ringsum auf den Dächern, wohin sie wohl durch den Luftdruck geschleudert wurden.“ Nach vielen weiteren Schwierigkeiten startet die Fledermaus August 1946 in Ost-Berlin zum Jungfernflug. „Ein Riesengeschäft“, kommentiert der Westschreiber neidisch, denn angeblich beginnt „die Bevölkerung, überfüttert mit ausländischen Filmen, sich nun wieder nach deutschen Produktionen zu sehnen.“

Am 13.Januar 1946 haben die Wochenschaumänner des Augenzeugen beim Boxkampf Eder - Przybalski im Ostberliner Friedrichstadtpalast ihren ersten Einsatz. Das Team und sein Leiter, Kurt Maetzig, sind mit einem Holzgasdreiradmobil unterwegs und manchmal zu spät dran. Zum Beispiel bei der Pressekonferenz mit Frau Roosevelt: Die Präsidentengattin ist schon weg. Kein Wunder, daß die Wochenschau erstmal eine Monatsschau ist.

Am Mittwoch, dem 10.Oktober, 15 Uhr hatte sich im Osten „ein nicht näher bekannter Herr namens Wolfgang Staudte angemeldet, der auch gleich ein Drehbuch unter dem Arm mitbrachte“. In den Westsektoren hatte er für Die Mörder sind unter uns keine Dreherlaubnis bekommen.

Am 4.Mai 1946 fällt in Babelsberg die erste Klappe zum ersten deutschen Spielfilm nach dem Krieg. Die Mörder sind unter uns ist eine Abrechnung mit den Kriegsverbrechern, die in ihre alten Ziviljobs abtauchen, als wäre nichts geschehen. In einer 'Vorwärts'-Kritik von 1946 wird ein Kinobesucher zitiert: „Dieser Film mußte kommen! Ich bin bloß froh, daß ihn Deutsche gedreht haben und nicht Ausländer.“ Die DEFA hat mit diesem Film einen international anerkannten Start. Weitere vielbeachtete Filme folgen, so unter anderem Kurt Maetzigs 47er Ehe im Schatten, der am Beispiel einer „Mischehe“ in der Nazizeit „die Unzähligen, die sich mit solcher Hingabe schon wieder selbst bemitleiden,“ zwingt, sich des „kleinen“ Antisemitismus zu erinnern, wie die 'Berliner Zeitung‘ hofft.

Bis Ende 1949 hatten 26 Spielfilme der DEFA Premiere. Auch technisch geht's in Babelsberg voran. Als erste Filmgesellschaft der Welt setzt die DEFA in ihren Ateliers Magnetton ein, und im Juni 1947 sind 21 Regisseure, 20 Kameramänner, ein fester Schauspielerstab und 1.500 Angestellte beschäftigt. Werner Finks telegrafischer Wunsch zur Firmengründung hat, scheint's, Glück gebracht.

„Ein ferner Wink

von Werner Fink

damit das Ding

Euch wohl geling!“

Nächsten Donnerstag:

Kalter Krieg und Instant-Helden

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