: Vom Jammern zum Klagen
Laut Finanzminister geht es den Kommunen relativ gut. Dennoch reichen elf niedersächsische Städte und Gemeinden Verfassungsklage gegen den Finanzausgleich ein. Der Streitwert: 150 Millionen Euro
von Kai Schöneberg
Wer zu oft jammert, wird eines Tages nicht mehr ernst genommen. Eine der beiden dauerjammernden Lobbys hatte in den vergangenen Jahren das rituelle Wehklagen beendet: Die Bauern klagen munter weiter, aber aus Städten und Gemeinden war kaum noch ein Leidensmucks zu vernehmen. Der Grund: Nach massiven Einbrüchen war die Gewerbesteuer, die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen, in den vergangenen zwei Jahren wieder heftig angezogen. Für dieses Jahr erwarten die Steuerschätzer sogar einen Einnahmenrekord von 31,9 Milliarden Euro bundesweit.
„Mit großer Gelassenheit“ sieht Niedersachsens Kassenwart Hartmut Möllring nicht nur deshalb der Verfassungsklage entgegen, die elf Städte und Gemeinden beim Staatsgerichtshof in Bückeburg gegen den CDU-Finanzminister einreichten. „Das ist keine Prozesshanselei, das ist als Hilfeschrei zu werten“, entrüstet sich dagegen Rainer Timmermann, Präsident des Städte- und Gemeindebunds, über Möllring. Mit im Klageboot sind unter anderem Göttingen, Goslar, Königslutter, die kleine Samtgemeinde Lachendorf, aber auch die Nummer eins im Landes-Schulden-Ranking, Hannover.
Weil es den Gemeinden „relativ“ zur Finanzlage des Landes gesehen besser gehe, hatte Möllring im vergangenen Jahr 150 Millionen Euro beim Kommunalen Finanzausgleich einbehalten. Immerhin reißt das Land im März die Schuldenlatte von 50 Milliarden Euro.
„Wir empfinden das als Willkür“, sagte Timmermann. Das Städte-Glas ist für ihn eher halb leer als halb voll: Nur die Hälfte der Kommunen im Land schaffe es derzeit, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. „Jeder Cent wird zweimal umgedreht“, sagt Timmermann, Schwimmbäder, Sportplätze und Kulturangebote müssten unterhalten werden. Und überhaupt: Wie Möllring denn auf die 150 Millionen komme?
„Die wollen ihre freiwilligen Leistungen nicht streichen, aber unsere Kürzungen beim Landesblindengeld haben auch nicht überall Friede, Freude, Eierkuchen hervorgerufen“, sagt Möllrings Sprecher Jürgen Tostberg. Und macht eine eigene Rechnung auf. Durch Einsparungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld der Beamten und durch weitere Gesetzesänderungen hätten die Stadtkämmerer im Land im vergangenen Jahr 100 Millionen Euro, durch Mehreinnahmen bei der Gewerbesteuer weitere rund 200 Millionen eingenommen. Außerdem habe Niedersachsen die Einsparungen bei der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe ungeschmälert an die Kommunen weitergegeben. Tatsächlich konnten einige Städte mit vielen erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen durch Hartz IV sogar einen kräftigen Schluck aus der Pulle nehmen: Hamburg kam so im vergangenen Jahr auf 200 Millionen Euro mehr. In Niedersachsen machten alle Entlastungen insgesamt weit über 400 Millionen aus.
Dabei ist es nicht das erste Mal, dass die Gemeinden gegen den Kommunalen Finanzausgleich nach Bückeburg ziehen: Im Mai 2001 schlug das Gericht eine Klage von 31 Städten nieder, die von der damaligen SPD-Landesregierung mehr Geld wollten. Damals sagte der einstige CDU-Finanzexperte Hartmut Möllring, er bedauere „das katastrophale Urteil“.