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■ Vom Arbeitslosen zum Working PoorJobwunder à la USA

betr.: „Neue soziale Balance“, taz vom 24. 1. 02

Es mag sein, dass die Idee einer „Grundsicherung“ nicht mehr up to date ist; sie ist aber dennoch zutiefst human, weil eine „Grundsicherung“ das Überleben unter menschenwürdigen Bedingungen von den Zwängen des Arbeitsmarktes abkoppelt. Wenn sich die „Arbeitgeber“ beklagen, dass sich niemand mehr findet, der „Billiglohnjobs“ übernehmen will, und das in einer Zeit, in der es Millionen Arbeitslose gibt, dann sollte man die Anbieter von Arbeitsplätzen doch wirklich fragen, warum sie die Löhne für solche Jobs nicht entsprechend erhöhen. Es kann doch nicht sein, dass niedrige Löhne, Markt hin, Markt her, gewissermaßen mit naturgesetzlicher Notwendigkeit an gewisse Jobs gekoppelt sein müssen. […] WINFRIED SCHUMACHER, Köln

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Es ist zwar richtig, dass Arbeitslose sich eher Arbeit suchen, wenn man sie dazu zwingt. Warum aber deswegen dann „mehr Leute eine Jobchance … bekommen“ sollen, wird nicht erklärt. Bei einer Million offener Stellen und sechs Millionen Arbeitslosen (ABM und Weiterbildung eingerechnet), ist das auch nicht plausibel. Die Beitragswilligkeit der Bürger hängt auch von der Vermittlung in den Medien ab. Häufig wird dort unterschlagen, dass auch jetzt schon ein massiver Druck zur Arbeitssuche für Arbeitslose besteht. […] CORNELIUS MIDDELHOFF, Reinbek

Sicher gibt es Arbeitslose, die ihren Status „missbrauchen“. Die Meisten würden dagegen gerne einer geregelten Arbeit nachgehen, aber Saisonarbeit wie Kartoffeln lesen bietet selbst Langzeitarbeitslosen keine besseren Perspektiven und keine weiterführende Qualifikation. Und darum geht es Roland Koch auch gar nicht wirklich, wo soll er denn auch die Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt herzaubern? Koch geht es vorrangig um Mittelkürzungen, also Einsparungen. Der Zwang zur Arbeit (statt Recht auf eine angemessene Arbeit), mit der Drohung des Entzugs der materiellen Lebensgrundlagen, zwingt die Menschen in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse. Die Mc-Job-Firmen werden es Koch danken. Die jetzigen Arbeitslosen wird man dann Working Poor nennen. Deren Schicksal wünsche ich jedem an den Hals, der öffentlich so naiv argumentiert, wie Barbara Dribbusch.

WINFRIED THIESSEN, Marburg

„Ein Job für jeden – egal wie“, taz vom 25. 1. 02

Die interessanteste Stelle ist die, wo Frau Dribbusch die Frage der Zumutbarkeit von Jobs aufstellt, beziehungsweise die Vorstellung anreißt, dass Jobs auch mit geringerer Bezahlung als die Arbeitslosenhilfe beziehungsweise gemeinnützige Arbeiten angenommen werden sollen, müssen.

Fragen wir doch mal einen Arbeitgeber in welche Projekte, Angebote er investiert? In die, aus denen man weniger herausbekommt als man hineinsteckt? Ich nehme an, es werden sich nur wenige finden. Entgegenhalten könnte man, die Menschen bekommen Arbeit, Anerkennung, Struktur; die Solidargemeinschaft wird entlastet und vielleicht steigt die Person auf und hat – der Tellerwäscher grüßt – die erste Stufe einer glorreichen Karriere erklommen. Was aber mit denen, die eigene Vorstellungen von dem haben, was sie machen möchten, die einen Arbeitswunsch in einem bestimmten Feld haben und dafür auch die Fähigkeiten und Kompetenzen, die Anerkennung und Struktur ohne eine fremdbestimmte Arbeit haben. Diese Menschen dürfen wahrscheinlich auf diese Art und Weise ihre „Arbeitslosenentschädigung“ der Gesellschaft zurückzahlen, indem sie durch zur Verfügungstellung ihrer Arbeitskraft irgendwelchen Unternehmen Profite bringen und dem Arbeits- bzw. Sozialamt nicht mehr „auf der Tasche liegen“. […] FRANK BRENSCHEIDT, Köln

Das so genannte Workfare-System beinhaltet die Verpflichtung zur Arbeit für Empfänger von Unterstützungsleistungen bei gleichzeitiger Bindung der Kommunen, Arbeitsgelegenheiten (von gemeinnütziger Arbeit über Zeitarbeit bis hin zu regulärer Arbeit) für Hilfeempfänger zu schaffen. Das von Koch angestrebte Programm „wisconsin works“ stellt eben diese Arbeitsintegration in den Mittelpunkt, wobei die unterschiedlichen Arten der Arbeitsgelegenheiten in einer Art Karriereleiter durchlaufen werden können. In der Praxis sieht das folgendermaßen aus: Unternehmen melden jeweils ihre freien Stellen für Hilfsarbeitsjobs für Hungerlöhne zwischen fünf und sechs Dollar die Stunde, das Sozialamt schickt seine Klienten. Abgelehnt werden dürfen diese Angebote nicht, da ansonsten die Sozialhilfe gekürzt wird. Sowohl Staat als auch Unternehmen profitieren von diesem Programm, der Staat senkt die Fallzahlen der Hilfebedürftigen, die Unternehmen kriegen Billigarbeiter frei Haus. […]

Da Regierungen nun mal an ihrer Erfolgsstrategie in puncto Senkung der Arbeitslosenstatistik gemessen werden, kann der Regierung Schröder nur daran gelegen sein, ein „Jobwunder“ à la USA zu erzielen: Senkung der Arbeitslosenquote auf unter fünf Prozent bei gleichzeitiger Verdreifachung der so genannten „working poor“ und mehr als Verdoppelung der Gehälter der Spitzenmanager zwischen 1992 und 2000 auf das 125-fache des Lohns des Durchschnittsarbeiters. Hauptsache nicht faul dabei, denn das hat schon die Bibel verboten! TERESA HEIDEGGER

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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