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Volltanken für Oma

Berit Eckpaz aus Berlin hatte sich am 1. Juli so was von gefreut: Ihre Bankschulden in Höhe von hundert Mark Ost hatten sich über Nacht halbiert. Nur noch fünfzig Mark West. Auch wenn das aufs Gleiche hinauslief, schließlich hätten die Schulden ja auch 1:1 umgerechnet werden können. Aus lauter Glückseligkeit fuhr die heute 37-jährige Sekretärin nach Italien: fünf Tage mit Bus für 99 Mark. Und danach nie wieder. Die Schnäppchentour wurde zum Billighorrortrip.

Ein Freund von Berit Eckpaz aus Ost-Berlin tauschte unmittelbar nach der Währungsunion Westgeld gegen Ostgeld: Er wollte doch lieber eine komplette Kollektion DDR-Geld zur Erinnerung behalten.

Die Oma von Holger W. aus Potsdam hat unwissentlich von der Währungsunion profitiert: Zu ihrem 60. Geburtstag, ein Tag vor dem 1. Juli, hat ihr Enkel vom letzten Ostgeld ein edles Parfüm erstanden. Für das allerletzte Ostgeld wurde noch mal vollgetankt und dann zur Oma gefahren.

Hiltrud Werner aus Zwickau kleidete sich kurz vor der Umstellung komplett neu ein: Mit Waren des VEB Textil. Die heutige Rentnerin wollte für ihre bevorstehende Arbeitslosigkeit gerüstet sein. Ihr erstes Westgeld gab sie für eine Eule aus Malachit aus. Jahrelang der Traum einer Mineraliensammlerin aus der DDR.

Dass sich alle Ossis nach der Währungsunion Bananen und Ananas in Dosen gekauft hätten, ist ein offenkundig unausrottbares Gerücht aus Westintellektuellenkreisen.

Werner Conrad, 34, aus Rostock hat die letzten DDR-Münzen in den Mülleimer geworfen. Und das, obwohl sie noch weiter gültig waren. Das erste umgetauschte Westgeld steckte der heutige Einzelhandelskaufmann in einen Videorekorder. Ein bisschen leid tut ihm seine Radikalität von damals heute schon: Ein paar Aluchips hätte er sich doch gerne zur Erinnerung aufgehoben.

Carola Minz, 39, ebenfalls aus Rostock, hat für ihr letztes Ostgeld fangfrischen Fisch gekauft. Wie sollte es an der Ostsee auch anders sein. Die neue Knete floss in Chanel No. 5.

MARTIN REICHERT

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