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Vollidioten mit süßen Hintern

■ Die Verwicklungen einer schwulen Liebe und der abgründige Zynismus des Popgeschäfts: Paul Oremlands Film „Like It Is“

Verdammte Scheiße, morgen veröffentlicht die Sun meinen Ausweis, dann weiß jeder, dass ich gar nicht 25 bin.“ Popstar Paula, Anfang 30, bekommt die Krise, und das ausgerechnet während einer dieser Londoner Wichtig-Wichtig-Partys. Heulend verzieht sie sich aufs Klo, und Matt, ihr A&R-Manager, muss schon wieder das weiße Pülverchen und die Rasierklinge rauskramen – einfach nervig, diese Frau. Vor allem, weil sie ja auch nicht viel mehr ist als ein Retortengirl, dessen Platte man mit allerlei Tricks in die Charts gepusht hat.

Um den recht gut mit Geld und jungen Körpern dotierten Job zu bekommen, musste Matt nicht nur sehr oft den Schwanz seines Chefs lutschen. Er muss auch eine Kleinst-WG mit Paula und ihren Starallüren führen. Als sein Freund Craig, ein Mann mit sehr hübschen Gesicht und einer schnellen Faust, plötzlich aus Blackpool vorbeikommt und sich bei den beiden einnistet, scheint zuerst alles auf eine biedere Komödie hinauszulaufen.

Doch der englische Regisseur Paul Oremland versucht sich in Folge lieber an einem schwulen Sittengemälde der Endneunziger. Wobei er durchaus auch für Gags der derben bis sehr derben Sorte zu haben ist: Der kleine, süße Proll vom Meer kann zwar Autos knacken, weiß aber nicht, was ein Cappuccino ist. Und er ist natürlich richtig geschockt, als er sieht, wie in der hippen Londoner Musik- und Schwulenszene rumgevögelt und vor allem darüber geklatscht wird. Und für seinen Freund Matt ist Aids lediglich ein Spiel, das mal viele Freunde gekostet hat, aber eigentlich schon lange vorbei ist. Craig aber, in der Provinz schlafen bekanntlich alle ein wenig länger, nimmt die Sache noch richtig ernst und fragt seinen neuen Lover, ob er clean sei. (Und so packen beide auch erst mal ihre Kondome aus, bevor sie schön romantisch an einem See zur Sache kommen).

„Like It Is“ ist einigermaßen modern, insofern Schwulsein nicht sein eigentliches Thema ist. Es geht zwar auch um die Verwicklungen einer schwulen Liebe, vor allem aber um den Zynismus des internationalen Popbusiness. Üppiger Stoff für Fiktion also. Matts Chef, erschreckend überzeugend gespielt vom ehemaligen Who-Sänger Roger Daltrey (keine Locke, stattdessen tiefe Furchen und hinterhältiges Chef-Grinsen), erpresst alle in seiner Umgebung mit ihren sexuellen Leidenschaften. Die Einzige, die wie ein Fels in der schwulen Brandung seiner Plattenfirma steht, ist die Sekretärin. Weil Matt die untalentierte Paula erfolgreich mit Drogen und einem passenden Image aufgebaut hat, soll er nun aus drei „Vollidioten mit süßen Hintern“ eine erfolgreiche Boygroup machen. Als die pickligen Jungs bei einer professionellen Tanzlehrerin das Synchron-Hopsen üben, winkt die nur genervt ab.

Wenn dieser mit ziemlich viel Drive und Adrenalin angereicherte Film dennoch nicht ganz überzeugt, liegt das weniger an der Geschichte als an seinen Bildern. Das große rote E, das bei Matt im Regal steht, schreit morgens zu sehr nach Pilleneinwurf, und Autos, die keine Rolle spielen, fahren zu lange durchs Bild. Schnitte kommen zwei Hundertstel zu spät. Und dass sich am Ende eine schwule Zweierkiste mit Trauscheinperspektive trotz zerbeulter Fresse anbahnt, hätte auch nicht unbedingt sein müssen. Andreas Becker

„Like It Is“. Regie: Paul Oremland. Mit Steve Bell, Ian Rose, Roger Daltrey, GB 1997, 93 min. In den Kinos Hackesche Höfe 5 und Nord

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