piwik no script img

Volle Pulle Kontrast

■ Klaus Haetzel, Bürochef des Berliner Regierenden Bürgermeisters, macht Extremsport. Rainer Langhans und Christa Ritter machen extreme Filme: Ihre Doku "Fisch mit Fahrrad", 22.15 Uhr, ZDF

Die Zeit läuft. Wie lang eigentlich schon? Man kann es nicht sagen. Wirr tanzen die Hundertstel, die Sekundenbewegung ist fast majestätisch bei dem Tempo, von den Minuten ganz zu schweigen. Die Zeit läuft, und unter dem Vorderrad läuft die Straße, zum Glück wissen wir wie lang: 5.000 Kilometer quer durch Amerika. Das entspricht einer Million Liegestützen oder 46 Marathonstrecken am Stück.

Diese Angaben verdanken wir Günter Jauch, der den Mann auf dem Fahrrad einmal in seinem Sportstudio zu Gast hatte und dort alles erschöpfend Wichtige über ihn in seine Anmoderation packte, von der wiederum Christa Ritter und Rainer Langhans ein paar Fetzchen in die Exposition ihrer Dokumentation geschnitten haben: Seinen Namen (Klaus Haetzel), sein Alter (53), die Krankheit (schwerer Darmkrebs) und die Flucht in den Extremsport. Schnitt, dann wieder: die Einsamkeit des Langstreckenfahrers, flimmernde Straße, monotones Dröhnen, ein Hamburger auf die Schnelle, die Zeit läuft.

Vorerst läßt uns der Film allein mit weiteren Fragen und mit diesem Dröhnen, allein mit 5.000 Kilometern. Der Kommentar fällt spärlich aus, erklärt Christa Ritter, „weil's eigentlich ein ,Stummfilm‘ sein sollte, die ZDF-Redaktion aber so radikal nicht sein konnte“.

Allein gelassen mit Klaus Haetzel und mit all diesen Bildern. Lichtreflexe, Farbsuppen, die knallig ineinander fließen und irgendwie zähflüssig aussehen, bloppende Blasen, siamesische Zwillinge, häßliche Föten in Brauntönen, ein bißchen psychedelisch kommt das. Und die Zeit läuft die ganze Zeit. Sieht man solch Zeug, wenn man 5.000 Kilometer durch Amerika radelt? Muß sich durch diese aus Film und Fernsehen bekannte Masse halluzinieren, wer einen Workaholic-Job hat, Krebs kriegt, erst aus- und dann eine Million Liegestütze lang in die Pedale steigt, from coast to coast, nur um auf der anderen Seite des Farb- Breis wieder rauszukommen als Sieger – Sekt, Krawatte, Computer, Telefon?

Volle Pulle Farbe, volle Pulle Kontrast, die Regler sind am Anschlag, wie die Filmemacher es wünschen. Bis die Farbtöne der Stoffröhren in den Augen weh tun, durch die Klaus Haetzel schreitet. Aber was sind das bloß für Orte? Da taucht in Untersicht auf einmal der Regierende Bürgermeister auf, nur für ein paar Zehntel erst einmal, die Zeit läuft weiter. In einer späteren Sequenz kommt Klaus Haetzel in sein Büro, legt Neon ab und Anzug an, Krawatte in trüben Farben, Sekretärin in Weiß, wo bleiben da die 5.000 Kilometer? Die Kamera insistiert immer so komisch unscharf auf Haetzels Ohrring am linken Ohrläppchen. Die Kamera macht ratlos, verloren, Klaus Haetzel ist auch verloren im Berliner Stadtverkehr, in der Zeit, die läuft.

Lustig ist es, als Rainer Langhans einmal Eberhard Diepgen befragt, dessen Gesicht ganz rosa ist, wenn der Farbregler am Anschlag steht. Beide wollen locker wirken, die Kamera wippt, Diepgen blinzelt und sucht nach den Politikerworten, in die er das Verhältnis zu seinem engsten Mitarbeiter ganz unverkrampft packen kann, der so etwas Verrücktes macht – 5.000 Kilometer! – und dann noch mit dem Fahrrad ins Büro.

Der Film von Christa Ritter und Rainer Langhans (Grimme-Preis 1994 für „Schneeweißchenrosenrot“) ist ein Rätsel. Wer es wagt, sich durch den Brei der Bilder zu fressen, kommt vielleicht sogar ratloser an der anderen Seite wieder raus. Warum bloß läuft diese verdammte Zeit? Die Kamera ist aufgeregt, die Welt unsicher. Einmal will Klaus Haetzel den Dalai Lama fragen: „What will happen to the soul?“ Das soll der Mann aus Diepgens Büro sein? Ein anderes Mal fährt Haetzel eine Etappe bei völliger Dunkelheit. „Bei Tageslicht“, sagt er, „könnte man hier mit 50 runterbrettern.“ Wenn man genau guckt, läuft die Zeit völlig zusammenhanglos. Es sind immer bloß irgendwelche Bilder. Lutz Meier

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen