: Volkskammer für Sozialunion
Die Volkskammer verabschiedete in erster Lesung Gesetze zur Sozialunion / Sozialhilfe gibt es nur, wenn die Familie nicht helfen kann / Kritik an der Übernahme des BRD-Ausländer- und Asylrechts ■ Aus Berlin Brigitte Fehrle
In nur knapp vier Stunden verabschiedeten gestern die Abgeordneten der Volkskammer in erster Lesung die neuen Arbeits- und Sozialgesetze, die ab dem 2. Juli Grundlage des Lebens von 16.000.000 Bürgern sein werden. Neben dem Arbeitsförderungsgesetz und verschiedenen anderen Arbeitsgesetzen war auch das Sozialhilfegesetz Gegenstand der Debatte. Das sieht vor, daß zukünftig jeder einen Rechtsanspruch auf staatliche Hilfe hat. Allerdings nur dann, wenn er sich nachweislich nicht selbst helfen kann oder die Familie dazu nicht in der Lage ist. Zur Hilfeleistung verpflichtet sind auch Partner, die in eheähnlicher Gemeinschaft leben. Ein Haushaltsvorstand hat dann Anspruch auf 400 DM pro Monat. Die Ehefrau bekommt weitere 320 DM und für zwei Kinder im Alter unter 14 Jahren können noch einmal 520 DM geltend gemacht werden. Verschiedene Redner kritisierten, daß jeder, der einen Antrag auf Sozialhilfe stellt, seine Vermögensverhältnisse gegenüber dem Sozialamt offenlegen muß. Dies sei „entwürdigend“. Auch daß Sozialhilfeempfänger laut dem neuen Gesetz zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden können, ansonsten ihnen die Hilfe gestrichen wird, fand nicht die Zustimmung einiger Abgeordneter.
Für 22.000 der 160.000 in der DDR lebenden Ausländer haben in den letzten Wochen Betriebe Entlassungsbegehren beim zuständigen Ministerium abgegeben. Das wurde gestern anläßlich einer aktuellen Stunde zum Thema Ausländer und Asylrecht bekannt. Angesichts der Bestrebungen, die bundesdeutschen Regelungen für die DDR zu übernehmen, hatte die Fraktion Bündnis 90/Grüne das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Gerd Poppe begründete die Ablehnung seiner Fraktion mit den unzureichenden Rechten, die Ausländer nach den BRD -Gesetzen haben. Er vermißt sowohl das kommunale Wahlrecht, als auch die Möglichkeit für Ausländer, sich politisch zu betätigen. Nach BRD-Recht, so Poppe, muß ein Ausländer ein „makelloses Führungszeugnis“ haben, sonst wird er abgeschoben, er darf keine Sozialhilfe beziehen und muß nachweisen, daß er ausreichenden Wohnraum hat. Dazu gehörten für einen Erwachsenen zwölf Quadratmeter und ein Bad. Poppe: „Nach diesen Kriterien müßten wir so manchen DDR-Bürger abschieben!“. Unterstützt wurde das Bündnis 90 in seiner Kritik von der Ausländerbeauftragten der Regierung Almut Berger. Sie warnte vor einer „schematischen Übernahme“ des BRD-Gesetzes, da es für die Ausländer in der DDR „ausgesprochene Härten und Ungerechtigkeiten“ bedeutete.
CDU, DA und SPD waren sich einig darüber, daß das bundesdeutsche Ausländer- und Asylrecht für die DDR das Richtige ist. Mit der auch in der BRD bekannten Argumentation, viele Ausländer im Land verstärkten die Ausländerfeindlichkeit der einheimischen Bevölkerung, begründeten sie die Notwendigkeit des Gesetzes. Ein Redner von CDU/DA schürte die Vorurteile: „Wir müssen verhindern, daß die DDR zum Einwanderungsland für Wirtschaftsflüchtlinge wird“ Siehe Interview Seite 5
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