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StadtgesprächRudolf Balmer aus ParisVolksheld, Mythos, Ikone, Mitglied aller Familien: Frankreich trauert wie verrückt um Johnny Hallyday

Am Ende der Sendung konnte auch Frankreichs populärster Fernsehmoderator Michel Drucker seine Gefühle nicht mehr unterdrücken. „Salut mon pote“ (Tschüss, mein Kumpel), sagte er mit Tränen zum Abschied. Der am Mittwoch mit 74 Jahren verstorbene Johnny Hallyday, dem er einen ausführlichen Rückblick auf seine lange Musikerkar­rie­re gewidmet hat, war sein Freund und „wie ein Bruder“ für ihn gewesen. In derselben Weise sagen heute viele der trauernden Französinnen und Franzosen, Johnny sei für sie nicht nur ein Idol gewesen, sondern fast ein Mitglied der Familie. Seit im März bekannt wurde, dass er an Lungenkrebs erkrankt war, haben sie mit ihm gelitten und ihn erst recht bewundert, als er noch im Sommer mit zwei anderen Altrockern, seinen langjährigen musikalischen Weggefährten und Jugendfreunden Jacques Dutronc und Eddy Mitchell, nochmals auf Tournee ging.

Jetzt ist ein ganzes Volk von Fans untröstlich. Seitdem am Mittwoch am frühen Morgen die Nachricht von seinem Tod eintraf, scheint das öffentliche Leben fast stillzustehen. Alle reden über einen Riesenverlust, den sie meistens auch ganz persönlich empfinden. Am Radio werden Johnnys größte Hits in Endlosschleife ausgestrahlt, selbst auf Kultursendern, die in der Vergangenheit über ihn geschnödet hatten. Auf allen Fernsehkanälen laufen zur Prime­time Erinnerungssendungen oder Filme, in denen Hallyday sich auch als Schauspieler versucht hatte.

An Material fehlt es wahrlich nicht, denn in einer Karriere von rund sechzig Jahren hat er mehr als 1.100 Songs interpretiert. Den Medien hat er immer großzügig Stoff für Storys und Titelseiten geliefert. Zuerst mit seinen Provokationen als Rock ’n’ Roller im Elvis-Look, danach als Rockstar mit französischen Versionen internationaler Hits und dann mit eigenen Liedern, aber auch mit seinem Privatleben, seinen Drogenproblemen und zuletzt mit seinem Kampf gegen die Krankheit.

Heute überbieten sich die Zeitungen mit Nekrologen: „Johnny ist vielleicht gestorben. Aber er ist nicht wirklich tot. Diese Legende ist unsterblich“, meint die Zeitung L’Alsace. Und Libération-Chef Laurent Joffrin vermutet, dieser „unverwüstliche Rockstar“ habe nun definitiv seinen Platz im „Paradies der Volksikonen“, das heißt auf dem Olymp der nationalen Volkshelden, an der Seite von Napoleon, de Gaulle oder Edith Piaf. Auch Präsident Emmanuel Macron hat sich als Hallyday-Fan geoutet. In seinem ersten Communiqué schrieb er in Anspielung auf den Song „Quelque chose de Tennessee“, jeder in Frankreich habe in sich etwas von Johnny. Für viele hat er umgekehrt Frankreich verkörpert.

Auf die Frage, was ihnen Johnny Hallyday bedeute, antworten die Leute spontan, er sei ein Monument, ein Mythos, eine Ikone, aber auch eben auch ein Teil ihres eigenen Lebens. Mit seiner Musik hätten sie ihre ersten Partys gefeiert, geheiratet, ihre Kinder getauft. „Wenn wir große Sorgen hatten und gar nichts mehr ging, hatten wir wenigstens Johnny“, sagte vor Fernsehkameras eine etwa fünfzigjährige Frau, die wie andere Fans am Mittwoch zum Eingang der Villa in Marnes-la-Coquette gepilgert war. Dort stehen sie immer noch, die Fans mit ihren tätowierten Autogrammen, Tshirts oder Lederjacken mit Bildern von Johnny oder anderen Reliquien. Dass sich einige so verkleiden, findet Jose Albino daneben: „Diese Doppelgänger sind nicht die echten Fans.“ Für ihn ist eine Welt untergegangen: „Das ist schlimmer als wenn der Eiffelturm umgestürzt wäre.“

Die Bewunderung geht quer durch Generationen und soziale Schichten. Fast jeder und jede kennt hier mindestens einen Song auswendig. Zahlreiche französische Medien haben diesen Test auf der Straße gemacht und die Bestätigung erhalten. Wer nicht seit vielen Jahren in Frankreich lebt, dürfte Mühe haben, das Phänomen zu verstehen. Seit Tagen laufen die Vorbereitungen für eine grandiose und zugleich für alle zugängliche Trauerfeier vor der Bestattung im kleinsten Kreis auf der fernen Antilleninsel Saint-Barthelémy. Wie es sich für einen Volkshelden gehört, wird sein Sarg, eskortiert von 500 Bikern auf Harley-Davidsons, vor Zehntausenden vom Triumphbogen über die Champs-Élysées in die Madeleine-Kirche gebracht, wo der Staatspräsident ein paar Worte zum Abschied sagen soll.

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