piwik no script img

Volksbegehren in BerlinDemokratie nur für Schönschreiber

Rot-Schwarz will die Regeln für die Sammlung von Unterschriften verschärfen. Die direkte Demokratie wird so zur Schönwetter-Nummer.

Auch bei Wind gilt für Unterstützer von Volksbegehren: Schön schreiben, sonst taugtst nichts. Foto: dpa

Lässt sich Leidenschaft für direkte Demokratie an der Handschrift ablesen? Und darf, wenn es um politische Entscheidungen geht, auch das Berliner Wetter eine wesentliche Rolle spielen? Offenbar. Geht es nach dem Willen von SPD und CDU, können künftig nur noch Schönschreiber ein Volksbegehren vorantreiben. Die sogenannten Unterstützungserklärungen, von den Mitgliedern der Initiativen oft an wackligen Straßenständen bei Wind und Wetter gesammelt, sollen ordentlicher aussehen. Das sieht eine von SPD und Union geplante Gesetzesänderung vor, die am Donnerstag im Abgeordnetenhaus erstmals diskutiert wird.

Bisher dürfen Menschen, die ein Volksbegehren unterstützen, einzelne Angaben zu ihrer Person und ihrem Wohnort durchaus unleserlich, unvollständig oder sogar fehlerhaft machen: Ihre Unterschrift gilt nur dann als ungültig und wird entsprechend nicht gezählt, wenn die Angaben „die unterzeichnende Person nicht zweifelsfrei erkennen lassen“, heißt es im Gesetz über Volksinitiative, -begehren und -entscheid. Dieser Satz gibt der Landeswahlleiterin einen gewissen Ermessensspielraum, welche Unterschriften sie als gültig werten darf. Der Passus soll nach dem Willen von Rot-Schwarz gestrichen werden; künftig müssten der vollständige Name, Geburtstag, Wohnsitz und aktuelles Datum vollständig, korrekt und leserlich vorhanden sein. Gut deutsch eben.

Der Hintergrund: Bei der Auszählung für das Tempelhof-Volksbegehren im Frühjahr 2014 hatten einige Bezirke auch jene Unterschriften als gültig erfasst, bei denen das Geburtsdatum fehlte. Prompt mutmaßte ein SPD-Bezirksstadtrat gemeinsam mit CDU-Politikern über vermeintliche umfangreiche Manipulationen, weil die Initiative für eine unverändertes Tempelhofer Feld erst auf den letzten Drücker die notwendigen rund 174.000 Unterschriften zusammenbekommen hatte. Konkrete Hinweise dafür gab es jedoch nie. Doch dass der überraschend deutliche Sieg der Initiative den damaligen Stadt­entwicklungssenator und heutigen Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) weiterhin wurmt, ist bekannt.

SPD und CDU begründen die geplante Gesetzesänderung damit, dass „diese Regelungen widerspruchsfrei und eindeutig“ gefasst werden. Die Opposition im Abgeordnetenhaus sieht darin eher ein „gestörtes Verhältnis des Senats zur direkten Demokratie“, wie es Klaus Lederer, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion und Landesparteichef, gegenüber der taz ausdrückte. Sein grüner Kollege Dirk Behrendt betonte, die bisherige Regelung habe sich bewährt und müsse nicht geändert werden.

Der Verein Mehr Demokratie schlägt als Kompromiss vor, dass zumindest Geburtsdatum und Unterschrift vorhanden sein müssten, damit die Daten nicht irgendwo abgeschrieben werden könnten. Die geplante Regelung sei hingegen „eine völlig überflüssige Zusatzhürde für direktdemokratische Initiativen“, sagte Oliver Wiedmann, Vorstandssprecher von Mehr Demokratie Berlin-Brandenburg. Er befürchtet durch die verschärfte Regelung eine steigende Zahl ungültiger Unterschriften, die mit durchschnittlich 18 Prozent bereits jetzt „sehr hoch“ sei.

Der Änderungsantrag enthält einen weiteren pikanten Aspekt, der übrigens in Gegensatz zu dem Ziel steht, eine Regelung widerspruchsfrei und eindeutig zu fassen: Bisher dürfen sich Abgeordnetenhaus und Senat zwar zu einem Volksbegehren oder -entscheid äußern, sie dürfen aber nicht für ihre Position offensiv werben. Künftig sollen sie „ihre Haltung unter Beachtung des Gebots der Sachlichkeit geltend machen“ dürfen, so der Gesetzentwurf, und zwar unter „Einsatz angemessener öffentlicher Mittel“, sprich Steuergelder.

Volksbegehren

In Berlin gibt es mehrere direktdemokratische Verfahren: Nach einer erfolgreichen Volksinitiative muss sich das Abgeordnetenhaus mit der vorgeschlagenen Thematik befassen. Mindestens 20.000 Unterschriften müssen dafür im Vorfeld gesammelt werden.

Für die erste Stufe eines Volksbegehrens sind ebenfalls 20.000 gültige Unterschriften notwendig. Übernimmt das Abgeordnetenhaus den vorgeschlagenen Entwurf nicht, müssen in einer zweiten Stufen 7 Prozent der Berliner Wahlberechtigten für das Begehren unterschreiben, das entspricht derzeit rund 174.000 Menschen. (taz)

Linksparteichef Lederer hält das für einen Freibrief für Plakatkampagnen und spricht von einem „starken Stück“. Zumal die Initiativen bisher kein öffentliches Geld bekommen können. Der Grüne Dirk Behrendt gesteht dem Senat zwar zu, dass dieser sich stärker in Debatten während Begehren und vor Volksentscheiden einbringen darf und dafür auch Geld bekommt; er sieht aber bei der Formulierung „angemessen“ reichlich Klärungsbedarf im Rechtsausschuss. Generell habe der Senat aber zu viel Macht beim Verfahren der direkten Demokratie, etwa bei der Festlegung der Abstimmungstermine.

Kommt der Entwurf durch, hätte der Senat noch ein bisschen mehr Macht und die direkte Demokratie verkäme zu einer reinen Schönwetterveranstaltung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Es geht nicht um die deutsche Ordnungsliebe. Es geht auch nicht ums Schönschreiben. Es geht darum, die Wahrheit auszuhalten. Bert Schulz weiß das so gut wie ich.

     

    Was ist eine Volksabstimmung wert, bei der das Volk nicht einmal leserlich schreiben oder sich persönlich outen braucht? Nichts ist sie wert. Sie ist im Zweifel nämlich nicht belastbar. Wenn etwas gar nichts kostet, denkt man auch nicht drüber nach. Eine Volksabstimmung, die nicht wenigstens ein ganz klein wenig riskant erscheint, bildet keine Entscheidungen ab, sondern einen Nein-Schwäche oder einen Ja-Manie. Die direkte Demokratie verkommt auf ihrer Basis zu einer reinen Schönwetterveranstaltung. Sie ist bloßes Event, nicht anders als ein Fußballspiel.

     

    Das Schlimme daran ist: Leute wie Michael Müller riechen Ambivalenz, mit welchem Organ auch immer. Man wird sie so lange nicht los, wie sie noch eine Chance wittern, sich schließlich doch noch durchzusetzen. Mit mehr Druck, mehr Cleverness oder mehr Frechheit. Diesen Leuten nämlich geht es keineswegs (siehe oben) um die deutsche Ordnungsliebe, das Schönschreiben oder irgend eine "gute Sache". Es geht ihnen ausschließlich ums Gewinnen. Sie brauchen jeden Sieg für ihr privates Ego. So, wie andere die Hirschgeweihe über dem Kamin brauchen oder die Zielscheibe vom Schützenfest am Giebel ihres EFH. Und wenn sie dafür den Einzelnen durch eine Mangel drehen müssen, dann werden sie das tun. Manche ihre Gegner glauben das zumindest ganz genau zu wissen - und sie fürchten sich davor. Es muss nicht unbedingt Wind oder Zerstreutheit sein, was einen das eigene Geburtsdatum vergessen lässt.

     

    Leider sind die Gegner auch hier einander ebenbürtig. An einer Stelle jedenfalls sind sie sich erschreckend einig. Darin nämlich, dass ein ganz klein wenig Doping nun einmal sein muss, damit auch tatsächlich der Beste siegt in einem Wettbewerb - und das sind nun mal sie. In der Gesellschaft, schätze ich, ist schlechtes Wetter hausgemacht.