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PAKISTAN ZIEHT DIE ETHNISCHE KARTE UND VERWELTLICHT DEN KONFLIKTVolk statt Religion

Bemerkenswert offenherzig begründete der pakistanische Militärmachthaber Pervez Muscharraf das Ende seiner Taliban-Hilfe mit den „veränderten politischen Bedingungen“. Zu religiösen Hintergründen schwieg er, obwohl sie zwei Jahrzehnte lang praktisch alle Konflikte in der Region beeinflusst haben – zur Verbrämung politischer Interessen wie auch als eigenständiger politischer Faktor. Auf islamische Kämpfer geht die Niederlage der Sowjetunion in Afghanistan zurück. Ohne die todesmutige Unterstützung durch Dschihad-Aktivisten könnte Pakistan seinen Fast-Krieg mit Indien um Kaschmir nicht führen. Und in Pakistan hat Muscharraf die militante Opposition kontrolliert, indem er die Taliban in Afghanistan stützte und die Präsenz Bin Ladens zumindest hinnahm.

Jetzt verlangte Muscharraf nur, dass die paschtunische Bevölkerungshälfte in Afghanistan an einer neuen Regierung in Kabul angemessen beteiligt sein müsse und die nichtpaschtunische Nordallianz nicht weiter gestärkt werden dürfe. Das ist nicht nur eine verhaltene Drohung, sondern auch ein bemerkenswertes Austauschen der religiösen Karte gegen die ethnische. Schon sind viele Mudschaheddin aus dem pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs abgezogen, um in Afghanistan zu kämpfen – damit ist auch dieser Konflikt zumindest kurzzeitig „entglaubigt“. Innenpolitisch, als Botschaft an die Paschtunen im eigenen Land, sorgt Muscharraf für einen ähnlichen Effekt: Nicht als Glaubensbrüder, sondern als Volksgruppe werden die Paschtunen in Afghanistan unterstützt. Diese Politik stößt auf Zustimmung: Nur die Mitglieder einer einzigen, militant islamistischen Partei bestimmten gestern die begrenzten Unruhen.

Die Akzentverschiebung vom Religiösen zum Ethnischen ist noch kein Paradigmenwechsel, aber sie bedeutet eine Verweltlichung. Das erleichtert die Beherrschbarkeit des Konfliktes. Denn für die Lösung ethnischer Probleme, auch wenn sich in ihnen Fragen von Macht und Einfluss ausdrücken, gibt es ein enormes Inventar politischer Mittel. Dazu gehören Interessenausgleich, Partizipation und die Rechte von Mehr- und Minderheiten. Diese Kategorien mögen den Mudschaheddin gleichgültig sein; Muscharraf und einer großen Anzahl islamisch geprägter Gesellschaften sind sie es aber nicht. Auch wenn es nicht einer gewissen Ironie entbehrt, solche Forderungen aus dem Mund eines Militärdiktators zu hören. DIETMAR BARTZ

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