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Vogel gegen schnelle Wahlen

SPD-Vorsitzender Hans-Jochen Vogel lehnt gesamtdeutsche Wahlen im Januar 1991 ab  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Der SPD-Parteivorsitzende Vogel lehnt es ab, auf die Neuwahl des Bundestages zugunsten von gesamtdeutschen Wahlen zu verzichten, auch wenn bis Ende des Jahres die rechtlichen Voraussetzungen gegeben wären. Vogel bezog sich dabei auf die Äußerung der Sowjetunion in den 4+2-Gesprächen, wonach eine Entkoppelung des staatlichen Einigungsprozesses von der Klärung einer künftigen deutschen Bündniszugehörigkeit und der alliierten Sonderrechte vorstellbar sei. Wenn es bis zum letztmöglichen Termin der Wahlperiode, dem 17. Januar 1991, gesamtdeutsche Wahlen geben sollte, wäre zuvor eine Vereinigung nach Artikel 23 unter erheblichem Zeitdruck nötig. Dieser Gedanke bereite ihm „große Sorge“, sagte der SPD-Vorsitzende in Bonn.

Schließlich seien für die Vorbereitung der Wahlkreise und die Kandidatenaufstellung mindestens drei Monate Vorlauf vorgeschrieben, was die Zeit noch knapper werden lasse. „Die Gefahr schwerer Fehler ist bei dieser Vorgehensweise nicht auszuschließen“, so Vogel. Dem Prozeß der deutschen Einheit tue es nicht gut, die Menschen zu überfordern, die die Entwicklung „mitdenken und mittragen“ müßten.

Vogel sieht sich in Übereinstimmung mit dem DDR -Ministerpräsidenten de Maiziere, der ebenfalls vor einer „Überstürzung“ warnt. Eine Verlängerung der Wahlperiode des Bundestags bis zu gesamtdeutschen Wahlen hatte Vogel in der Vergangenheit aus verfassenrechtlichen Bedenken ebenfalls strikt abgelehnt.

Vogel erklärte, bei den Kommunalwahlen habe sich die DDR -SPD trotz der weiterhin bestehenden technischen und organisatorischen Benachteiligung gegenüber der PDS und den alten Blockparteien „behauptet und ihren Wähleranteil gehalten“. Im geringen Verlust der SPD einen „Denkzettel“ für die Beteiligung an der großen Koalition in Ost-Berlin zu sehen, sei falsch, meinte Vogel. Richtig sei vielmehr, daß die DDR-SPD als „soziales Korrektiv“ begriffen werde.

Der DDR-SPD wird nach Meinung von Vogel auch in der Opposition eine Mitverantwortung zugesprochen. Deswegen sei es richtig, diese Verantwortung bei der Gestaltung des Einigungsprozesses in der Regierung wahrzunehmen. Vogel erklärte außerdem, man werde „geduldig und beharrlich entlang den Wünschen“ der DDR-SPD auf eine Vereinigung beider Schwesterparteien hinarbeiten.

Der SPD-Chef kündigte an, daß er sich in dieser Woche erneut mit Bundeskanzler Kohl treffen werde. Neben Erörterungen über den Staatsvertrag und die deutsche Einigung hoffe er auch auf Information über die Ergebnisse der 4+2-Konferenz. Als offene Frage nannte er, ob die alliierten Vorbehaltsrechte auch über die deutsche Einigung hinaus bestehen bleiben werden.

Eine Zustimmung der Sowjetunion zu einem Verbleib eines einigen Deutschlands in der Nato werde wesentlich von der „substantiellen Modifizierung des Charakters und der Strategie“ des Militärbündissen abhängen. Die Bundesrepublik könnte die Chancen für einen Fortschritt allerdings deutlich verbessern, wenn sie endlich einseitig konkrete Schritte zur Abrüstung, zum Beispiel bei der Reduktion der Bundeswehrstärke, anbiete.

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