Virtuelle Fankurve: Ein Hauch von 3D
Fernsehsender versuchen verzweifelt, Stadionatmosphäre zu simulieren. Fox Sports in den USA zeigt jetzt sogar computergenerierte Fan-Avatare.
Es ist ein Traum für den in der Armseligkeit der dritten Liga versunkenen früheren Bundesligisten MSV Duisburg. In der ersten Runde des Wettbewerbs um den DFB-Pokal spielt der Meidericher Spielverein gegen den großen Reviernachbarn Borussia Dortmund. Als unterklassiger Verein hat der MSV Heimrecht. Was für ein Spiel für Fußballromantiker! Eigentlich. Denn es wird nicht viel los sein in Duisburg Anfang September, wenn das Match steigt. Was hat es schon für Pokalsensationen gegeben, in denen der Underdog, angefeuert von mit bestem Bier zu bester Laune gedopten Fans, eine Millionärsvereinigung aus der ersten Liga mit einer Niederlage wieder nach Hause geschickt hat! Vorbei.
Nicht mal einen echten Heimvorteil gibt es, solange die Kurven nicht voll sind. Auch wenn erste konkrete Pläne ausgearbeitet werden, nach denen die Stadien eventuell bis zu einem Viertel gefüllt werden können, in den großen Profiligen wird so schnell nichts so sein, wie es vor Corona war.
Doch nicht nur der Heimvorteil leidet unter dem Hygienesport der Gegenwart. Auch die Sportfans zu Hause an den Empfangsgeräten jammern über die Nicht-Stimmung, die ihnen in die Wohnungen gesendet wird. Die Ultras und Kuttenfans aus den Kurven, die sich zu jedem Spieltag so drollig verkleiden und ein Liedlein nach dem anderen auf die Liebe ihres Lebens anstimmen, sind eine lieb gewordene Kulisse auch für Sportanhänger:innen, die nie ein Stadion betreten würden. Das wissen die übertragenden Sender zur allzu gut und versuchen, seit Sport für die Massen ohne Livepublikum auskommen muss, digital an das Signal ranzuprogrammieren, was fehlt.
Der Sender Fox Sports in den USA lässt die Tribünen bei Spielen der Major League Baseball jetzt mit virtuellen Fans bestücken, also in die Liveübertragung reinkopierte Avatare, die sogar eine leichte Anmutung von Dreidimensionalität haben. Die Programmierer:innen können sie sogar aufstehen, klatschen und jubeln lassen.
Virtuelle Leibchen auf virtuellen Leibern
Das ist der aktuell liebevollste, aber beileibe nicht erste Lösungsvorschlag zum Thema leere Stadien. Wer ein Abonnement des Bezahlsenders Sky hat, konnte in der abgelaufenen Saison der Bundesliga Spiele ansehen, über die ein akustisches Signal gelegt wurde, das Stadionatmosphäre vorgaukeln sollte.
Es war ein niederschmetterndes Experiment. Da wurde „Schalke“ gesungen, obwohl es dafür nun wirklich keinen Grund gab. Es wurde laut, wenn gerade gar nichts los war, oder es wurde gepfiffen, auch wenn niemand gefoult worden war. Und wenn es wirklich einen Grund zum Aufregen gab, weil ein Schiedsrichter zum Beispiel ein Handspiel von Jérôme Boateng im Strafraum nicht gepfiffen hat, blieb das virtuelle Publikum brav. Ein lautes „Fußballmafia DFB!“ hätte so manchem Spiel gewiss gutgetan. Kurz – es war ein Desaster.
Als dann in Spanien der Ligabetrieb wieder aufgenommen wurde, wollte man noch einen draufsetzen und kündigte an, die Ränge mit virtuellen Fans zu besetzen. Denen wurden die Vereinsfarben des jeweiligen Gastgebers auf die virtuellen Leiber programmiert. Alle sahen gleich aus und die Bilder aus spanischen Stadien wirkten so, wie man sich ein Fußballspiel in Nordkorea vorstellen mag. Wenn die Kamera gewechselt wurde, statt der Totalansicht des Spielfelds eine Nahaufnahme zu sehen war, war das Publikum dann plötzlich verschwunden. Jede Fußballsimulation für den Computer seit der Jahrtausendwende wirkt da echter. Es war zum Abschalten.
Die Frage, warum überhaupt noch echte Sportler in echte Arenen geschickt werden, drängt sich hier regelrecht auf. Für den allgemeinen Gesundheitsschutz wäre es sicher besser, man würde die Spieler:innen, Trainer:innen und Manager:innen gleich ganz zu Hause lassen. Vielleicht könnte man den Stars Controller in die Hand drücken, damit sie ihre eigenen Avatare am Spieltag steuern können. Die virtuellen Fans im Stadion würde das gewiss nicht stören. Und die Fans zu Hause? Die kann man ja vielleicht auch programmieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Unterbringung und Versorgung
Geflüchtetenaufnahme belastet Kommunen weiterhin deutlich