: Vincent-Sigi-Bert
■ Glyn Hughes - Eine Begegnung der farbigen Art / Ein Panorama fürs neue MOKS-Stück / Premiere im August
Da, wo sich Import und Export gute Nacht sagen, wird die Welt normalerweise zur Laderampe und zu sonst gar nichts. Die Straßen heißen da Industriestraße und sind irgendwie gesetzlos und stranguliert von schütteren Schienen von links nach rechts oder umgekehrt, aber wenn man kuckt, kommt grade nie was, und alle Laster laufen auf's gleiche raus: nix wie weg hier. Aber ich muß rein da - am großen Torpfosten vorbei, der heißt Maschinenfabrik Soundso, Heizung & Sanitär Soundso, Elektro Soundso auch noch - rein ins ewige Areal des Auf-und Abladens. Wo, bitte schön, soll hier jemand malen? Na ganz hinten.
Da, wo sich plötzlich eine dunkelgraurote Backsteinhalle querstellt und himmelblaue Türen hat. Das ist der Malersaal des Bremer hierhin bitte das Portraitfoto des Mannes
Theaters, wer hätte das gedacht, ich nicht. Oben drauf sitzen rittlings Glashäuschen für das Licht
von oben. Da malt Glyn Hughes, Ex-Waliser, jetzt Zypern, einen Prospekt. Also eine Rundumansicht, die das Swutsch -Studio zu einem Panorama in Liebesdingen machen soll, dazu gleich mehr. Erstmal muß ich durch das Himmelblau und stehe wie vor einer Wucht vor einem Fluß aus Farben, weil: das Panorama auf Leinen liegt noch auf dem Boden, ist aber schon 5 Meter breit (später hoch) und 27 lang und nicht einfach augenklirrend bunt, sondern verwirrend mehr. Dahinterdavordadrauf steht ein reizender kleiner Mann in weißen Haaren und Armytarnjacke, wird aber gern gesehen und spricht auch gerne, leider englisch als typischer Waliser. Nehm‘ ich also gleich all meinen englischen Sprachmut zusammen und brauch‘ doch bloß Augen und Oh
ren, weil er mir gleich von selbst vorstellt: hier die blutvollen Farben, da archaische Formen, hinter allem der Expressionismus der Erotik. Erklärt seinen Stil am Prospekt so: etwas Vincent, etwas Sigi, etwas Bert - Vincent von van Gogh und vom Expressiven, Sigi von Freud und von der tieferen Bedeutung, Bert von Bert Brecht und vom Erkennen. Schließlich malt er den Prospekt für „Brecht up'n Swutsch“, ja wirklich. Den guten Alten bringt das MOKS-Theater zu einer ungewöhnlichen Aufführung jenseits von Kreidekreisen und guten Menschen: einerseits ungewöhnlich wegen der Vertonvisualisierung der Brecht'schen Liebeslieder, andererseits ungewöhnlich wegen der Aufführung für fünf Schauspieler, einen Musiker und eben Glyn Hughes von außen umwickeltem Swutsch-Glashaus bei der Stadthalle, wo sonst bloß Fernsehkameras mit Wirklichkeiten werfen. Regie führt Heinz-Uwe Haus, internationaler Brecht-Spezialist und als Ex -Hausregisseur Bremer-Theater-Leidgeprüfter. Mit Glyn Hughes, der auch noch Dozent für Kunst und Theater und Feuilleton-Chefredaktuer des Cyprus Weekly ist, arbeitet er seit 1975 zusammen. Zurück zum Farbfluß.
Wenn man richtig rum steht, geben sich die Formen in dieser strotzenden Farbigkeit zu erkennen: gelbe Babies, rote Raketen, ein grüner Fisch mit schwarzer Riesenzunge, viele Phalli, alles verbunden durch eine dicke rote Trennlinie, hüben Liebe, drüben Haß, es ist schwer, sagt Hughes, die verschiedenen Formen und Farben auf dieser Länge von 27 Metern zusammenzubringen, weil er immer nur einen Ausschnitt malen kann, das Erledigte wird eingerollt. Fast wie im Le
ben. Ich soll ruhig über alles weg laufen, ich soll auf die Leiter steigen, ich soll einen Eindruck bekommen vom Rhythmus der Farben. Er ist aufgeregt, sagt er, wie alles aussehen wird am Freitag, wenn es aufgehängt wird, meistens freut er sich aber, streicht
dann wieder etwas Ocker mit dem langen Pinsel-Stock über die große Fläche, als ritze er geheimnisvolle Zeichen in einen uralten Boden und wird das Rot der Waffen in pink verwandeln, damit das Auge pink, pink, pink sehen kann. Claudia Kohlhas
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