Village Voice: Was einen machtvoll in plüschige Clubsessel preßt
■ „Sing Dela Sing“ von Cultured Pearls: hübscher Acid Jazz, vor dessen Hintergrund es sich gut über Geschmack streiten läßt
Popmusik, die live präsentiert wird, altert schnell; Multiplikatoren in Form von kleinen Silberlingen müssen das einmal angeheizte Feuer schüren, sonst läßt die Spannkraft der Aufmerksamkeit nach den großen Jubelarien zu sehr nach.
Den Cultured Pearls erging es so wie vielen Berliner Frühstartern: Viel Lob und Ehr' nach diversen guten Live-Auftritten, und selbst ein Album hatten sie danach schnell auf Tasche. Dieses bereitete der endlich gefundenen Major-Firma jedoch Schwierigkeiten und zog Forderungen der üblich profitorientierten Art nach sich, welche die Veröffentlichung um (Pop)-Ewigkeiten verzögern ließ. Da fehlte den Verantwortlichen einmal die Hitsingle, um in die Radio- und Musikfernsehen- rotation zu gelangen, dann gab es wieder zu viele Ecken und Kanten, die der werbewirksamen Kompaktheit im Wege gestanden hätten.
Nun ist es doch noch geschafft, sind alle Kompromisse in einen Topf geworfen, der dann auch 67 Minuten lang kocht: „Sing Dela Sing“ heißt das Album, und das ist genau das, was wir schon immer hören wollten, uns bloß nicht trauten, wirklich zu erwarten: Der große Soundtrack auf den Wechsel des Jahrzehnts vor sechs Jahren, Musik des Jahrgangs 89/90, die perfekte, fette Abmischung von Sounds, die in dieser Form sicher nicht das up-dateste von der Welt sind. Cultured Pearls spielen durchweg hübsch perlenden Acid Jazz, zu dem man sich ohne Streß wohlig durch Stadt und Bars treiben lassen kann. Nichts Böses will diese Musik, die ideal einlullt und einen machtvoll in die plüschigen Clubsessel preßt.
Angefangen mit „Dynamite“, einem Bond-Ableger mit langem Intro und klasse 007-Gitarre, bei dessen Hören man sich auch gut vorstellen kann, wie Sängerin Astrid North ein „For your eyes only“ schmachtet. Weiter geht's mit dem faul-sentimentalen „Mother Earth“ sowie dem hibbeligen Song „I don't love you like I used to“, der wohl auch die Generation der „Hitparade“- und „Länderjournal“-Zuschauer zum Mitklatschen animieren würde.
Die Vorabsingle „TicToc“ ist textlich die Quersumme aus allen Songs: „Tic Toc says the clock, 1,2,3 play hide and seek, tic toc hit and run marshmellows and bubblegum“ – lyrisches Holz, aus dem seit Urzeiten die großen Songs der Welt geschnitzt sind.
Schlapp sind die Grooves, erlesen und dezent die kleinen Jazzspritzer, und streichen und flöten tut es, daß es nur so eine Freude ist. Manchmal wünscht man sich doch ein wenig mehr Dampf – wo sind sie bloß alle hin, meine Talking-Loud-Platten? Von Verstaubtheit soll jedoch nur wenig Rede sein, Cultured Pearls haben halt einfach genug junge Musik- Geschichte gefressen, um sie nun unterhaltungs- und stilbewußten Menschen von heute gekonnt in den Rachen werfen zu können.
Neben dieser breitwandigen Großproduktion und ihren perfekten Sounds hat diese Band natürlich noch ein unwiderstehliches Plus: Astrid North, ihre Sängerin, die sich mit ihrem Organ hinter keiner Shara Nelson oder Caron Wheeler zu verstecken braucht. Sie strahlt diese soulige Sehnsucht aus, die wie üblich und aufs angenehmste ein kleines, feines Licht im großen, weiten Universum flackern läßt – echte, gehaltvolle Natürlichkeit dialektisch zum sonst synthetisch-konzeptionellen Gebaren.
Damit läßt sich angeben und wuchern, warum auch nicht, und sonst, wie gesagt, ist „Sing Dela Sing“ die bunte Soundtapete für den Hintergrund, die Folie auf der sich besser und lockerer über Geschmack und sonst gar nichts streiten läßt. Leichte Popmusik eben, nicht mehr, nicht weniger, und in ein paar Jahren feiern wir an dieser Stelle die Berliner Band, die, besser spät als nie, am besten weiß how to triphop. Gerrit Bartels
Cultured Pearls: „Sing Dela Sing“ (WEA)
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