Vietnamesische Pagode in Berlin-Spandau: Totenkult unter den Augen Buddhas
Ihre antikommunistische Ausrichtung hat die vietnamesische Pagode in Berlin hinter sich gelassen. Eine Ortsbegehung auf den Spuren der Ahnen.
Gebaut haben die Pagode und den Garten vietnamesische Bootsflüchtlinge nach der Jahrtausendwende. „Die Gemeinde gibt es aber bereits seit den 1980er Jahren“, sagt So Cue Diem, eine Personalentwicklerin aus Prenzlauer Berg, die hier Pressesprecherin ist. Man hätte sich zuvor in einem ganz normalen Wohnhaus getroffen, das im Innern an eine Pagode erinnerte. Doch das wurde zu klein, insbesondere nach der Maueröffnung, als auch Vietnamesen aus dem Ostteil der Stadt eine religiöse Gemeinschaft suchten. Gebaut wurden Pagode und Garten aus Spendenmitteln in mehreren Schritten.
Andreas Burasch harkt gerade den Rasen. Der Spandauer Rentner ist mit einer Vietnamesin verheiratet und hat über sie zum buddhistischen Glauben gefunden. Er gehört zu den aktiven Gemeindemitgliedern. „Ich kümmere mich um den Garten und übernehme auch Reparaturarbeiten im Haus, wenn etwas anfällt“, sagt er. „Da habe ich als Rentner eine Aufgabe.“
Betritt man die Pagode selbst, muss man die Schuhe ausziehen. Der Fußboden ist aus vietnamesischem Marmor, mit prächtigen Teppichen belegt. Der Weg führt direkt in die Gebetshalle mit weiteren riesigen Buddhafiguren. Auch hier erklingt sanfte Meditationsmusik. Wenn an Sonntagen die Gemeinde zu religiösen Zeremonien zusammenkommt, die mit einem Gottesdienst vergleichbar sind, sind zwischen 60 und 200 Gästen in der Halle.
Die Besonderheit
Die Linh-Thuu-Pagode ist die größte und älteste Pagode in Berlin und eine der größten in Deutschland. Sie liegt im Westen Berlins, in einer Spandauer Straße dicht bei der Ikea-Filiale. Ein weiterer Tempel in Lichtenberg, die Pho-Da-Pagode, kommt im Tatort „Am Tag der wandernden Seelen“ vor, der am 5. Mai ausgestrahlt wird.
Die Zielgruppe
BuddhistInnen mit und ohne vietnamesische Muttersprache, Touristen, Menschen, die sich für den Buddhismus interessieren oder zur Ruhe kommen wollen.
Hindernisse auf dem Weg
Wer die Pagode betreten will, sollte dezente Kleidung tragen. Kurze Hosen und Miniröcke sind ebenso wenig erwünscht wie Spaghettiträger oder bauchfreie Kleidung. Die Schuhe sollte man im Gebäude ausziehen.
Buddhas Geburtstag
An besonderen Höhepunkten wie dem vietnamesischen Neujahrsfest und Buddhas Geburtstag sind es fast 1.000, sagt Andreas Burasch. „Da kann man kaum noch treten.“ Nach der religiösen Zeremonie sitze die Gemeinde noch zu einer gemeinsamen Mahlzeit zusammen. „Das Essen ist vegetarisch und wird in der Pagode gekocht.“ Was nicht heißt, dass sich Buddhisten ausschließlich vegetarisch ernähren. Aber in der Pagode selbst ist das Pflicht.
An diesem Samstag kommen nur einzelne Buddhisten. Sie verneigen sich vor den Buddhafiguren, entzünden ein Räucherstäbchen auf dem Altar und ziehen sich anschließend in eine Ecke zur spirituellen Ruhe zurück. Auch Touristen schauen vorbei, sie sind willkommen.
Die Pagode ist ein Nonnenkloster und wird fast ausschließlich über Spenden finanziert. Die fließen reichlich, die Gemeinde freut sich auch über Spenden von Touristen, die diskret übergeben oder in die Spendenboxen eingeworfen werden sollten.
Das Mutterhaus, auch Patriarchenpagode genannt, steht in Hannover und ist die älteste vietnamesisch-buddhistische Pagode in Deutschland. Es steht der Kongregation der Vereinigten vietnamesisch-buddhistischen Kirche vor, die in Vietnam nicht anerkannt ist. Sie ist eine reine Exilgründung und legt Wert auf Unabhängigkeit von der Regierung in Hanoi. Zu ihr gehören vietnamesische Pagoden in Hamburg, Rostock, Varel, Oberhausen, Schmiedeberg, Ravensburg und Tübingen.
Von der antikommunistischen Ausrichtung verabschiedet
Seit 2006 gründete auch der in Vietnam zugelassene Buddhisten-Verband Sangha mit aktiver Unterstützung der Regierung in Hanoi Niederlassungen im Ausland, darunter zahlreiche in Deutschland, vor allem in den östlichen Bundesländern. Bootsflüchtlinge vermuten, dass es dort nicht nur um religiöse Angebote geht, sondern zum Teil auch um geheimdienstliche Spionage unter Auslandsvietnamesen. In einem Fall hatte eine im Aufbau befindliche Pagode sogar mit Besuchen hochrangiger Offiziere des Sicherheitsministeriums geworben.
Die Linh-Thuu-Pagode in Spandau hat sich von ihrer scharfen antikommunistischen Ausrichtung verabschiedet und hin zur politischen Neutralität entwickelt. Sie hat die Fahne der 1975 untergegangenen Saigoner Republik abgehängt, die für Bootsflüchtlinge zwar ein Stück Identität bedeutet, vielen Vietnamesen aus dem Ostteil der Stadt, die der Regierung in Hanoi positiv bis neutral gegenüberstehen, aber ein Dorn im Auge war, und sich damit für diese geöffnet.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Über den prächtig geschnitzten Holzaltar mit Obstschalen und den Behältnissen für den Totenkult haben Berliner Vietnamesen Fotos ihrer verstorbenen Ahnen gehängt und somit den hier lebenden Nonnen den unter Vietnamesen wichtigen Totenkult für ihre Vorfahren anvertraut. Dass man auf den Fotos Männer mit Militäruniformen beider Seiten der Front im Vietnamkrieg, also Nord- und Südvietnamesen, sehen kann, ist eine kleine Sensation.
„Für die älteren Gemeindemitglieder war diese Öffnung nicht leicht“, sagt So Cuo Diem. „Aber unsere Pagode will den Seelen aller Verstorbenen in der einst geteilten Stadt Berlin einen Ort der Ruhe bieten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?