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Viertel weiter streitbar

■ Beiratsvertreter von Grünen und SPD weiterkämpfen / SPD-Bürgerschaftsfraktion lehnt Schulte-Vorstoß ab

Die Beiräte von Grünen, SPD, PDS und „Wir im Viertel“ (WiV) stehen zur Verkehrsberuhigung. „Diese Idee wird auch Herrn Schulte überdauern“, versicherte der langjährige SPD-Kommunalpolitiker Reinhard Werner gestern auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Seit 1979, so berichtete er, stehe die Verkehrsberuhigung in den Wahlprogrammen der SPD. Das lasse man sich nicht nach zweiwöchigen Experimenten ausreden. Werner rechnet allerdings damit, daß die Streitfrage in den Koalitionsausschuß Mitte Februar kommt und gemeinsam mit den anderen Themen (Linie 4 und Hemelinger Tunnel) Kompromissen zugeführt wird, über die er vorab keine Prognose wagen wolle.

Die Beiratsvertreter laden derweil für den heutigen (Dienstag) Abend zu einer öffentlichen Beiratssitzung im Bürgerhaus Weserterrassen ein. Dort wird sich auch herausstellen, ob der Rechtsweg von Betroffenen beschritten wird. Am kommenden Samstag um elf soll wieder auf dem Straßenzug demonstriert werden.

Die Verkehrsberuhigung sei langfristig auch für die Geschäftsleute gut, erklärte der SPD-Vertreter Werner: „Es hat immer Wechsel gegeben“, wenn aber die „Aufenthaltsqualität“ in diesem Nebenzentrum nicht verbessert würde, würden sich auf die Dauer mehr Kunden wegorientieren. Von 350 Kaufleuten hätten nur 70 auf die kleine Umfrage der Interessengemeinschaft der Kaufleute geantwortet, berichtete Werner, dies seien sicherlich diejenigen, die Probleme haben. Diese selektiven Informationen seien keine Grundlage für irgendwelche Entscheidungen.

Stefan Schafheitlin (WiV) kritisierte vor allem auch die begründung des Bausenators für seinen einsamen Beschluß, die „Entwidmung“ des Straßenzuges für den Verkehr zurückzunehmen. Über zwei Wahlperioden hätten diejenigen Parteien, die für die Verkehrsberuhigung waren, im Viertel deutliche Mehrheiten bekommen, das sei eine demokratische Legitimation. Er empörte sich darüber, daß Schulte die jahrelangen Abstimmungsgespräche auch mit den Kaufleuten als „basisdemokratisches Sandkastenspiel“ abgetan hatte. Schultes eigene Entscheidungsgrundlage dagegen sei eingestandenermaßen nur die „Stimmungslage einer Interessengruppe“. Man müsse den Senator an seinen Amtseid erinnern, den er auf die gesamte Bevölkerung abgelegt hätte, nicht allein auf die Geschäftsleute. Auch fachlich sei die Entscheidung Schultes nicht begründet. Der Senat dürfe Schultes Vorgehen „nicht durch Stillschweigen billigen“.

Für den SPD-Politiker Werner hat der Bausenator „die Anarchie verkündet“: Polizeibeamte, die am vergangenen Samstag durch die rechtlich noch verkehrsberuhigte Straße schlenderten, haben dort fahrende Autos nicht mehr angehalten. Auf Nachfrage hätte sie erklärt, sie hätten Anweisung, nach dem Opportunitätsprinzip zu verfahren und nur noch zu beobachten, berichtete der PDS-Beirat Leon Reindel. Als die Leute vom Viertel-Fest einen PKW mit einem Flugblatt auf das Fahrverbot hinweisen wollten und der Mercedes-Fahrer sich genötigt fühlte, hätten die Polizeibeamten nicht dem Autofahrer eine Verwarnung mit überreicht, sondern die Anzeige aufgenommen. Noch drei Tage vorher hatten Behinderte, die dieselbe Straße fuhren, weil sie bei ihrem Arzt vorfahren wollten, 20 Mark zahlen müssen. K.W.

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