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Archiv-Artikel

Vierer mit Spätzündung

Der Österreicher Andreas Goldberger fliegt nur noch zum Spaß, doch seine Teamkollegen wollen mehr und ärgern sich über ein Springen wie das gestrige, bei dem erneut der Finne Ahonen gewann

AUS INNSBRUCK KATHRIN ZEILMANN

Als Alexander Pointner, der Cheftrainer der österreichischen Skispringer, über die Vierschanzentournee und die Leistung seiner Schützlinge sprach, blickte Andreas Goldberger zum Fenster hinaus und ließ seinen Blick über die Alpenlandschaft streifen. Es schien, als würde er gar nicht zuhören. Er hat ja auch schon viele Trainer kommen und gehen sehen in seiner langen Laufbahn.

So richtig jubeln konnte Pointner gestern nicht beim dritten Springen der Vierschanzentournee. Ausgerechnet in Innsbruck verpatzten seine Leute kollektiv den ersten Durchgang und verdarben sich damit frühzeitig die Siegchancen. Was möglich gewesen wäre, zeigten Thomas Morgenstern und Martin Höllwarth im zweiten Durchgang, als ihnen die beiden besten Sprünge gelangen. Das reichte noch zu Rang vier und fünf, es siegte erneut der Finne Janne Ahonen vor dem Polen Adam Malysz. Bester Deutscher war diesmal, man staune, Martin Schmitt auf Platz sieben, direkt vor Michael Uhrmann.

Am Ende war aber auch Österreichs Trainer einigermaßen zufrieden, immerhin liegen Morgenstern und Höllwarth in der Tourneewertung gleich hinter Ahonen und Malysz. Alexander Pointner ist ein junger und forscher Trainer. Er trägt gerne Sonnenbrille und moderne Kommunikationsmittel am Ohr. Mit 34 Jahren ist er gerade einmal zwei Jahre älter als Goldberger. 1993 hat der „Goldi“ aus Waldzell die Tournee zum ersten Mal gewonnen, 20 Weltcup-Siege hat er bislang gefeiert. Äußerlich hat er sich seit damals nicht groß verändert, die Backen sind rot, das Grinsen ist breit, das Haar blond. Doch die großen Erfolge sind lange vorbei. 1997 gab er zu, Kokain geschnupft zu haben. Eine halbjährige Sperre des Verbandes wollte er nicht akzeptieren, plante einen Wechsel zum jugoslawischen Skiverband. Viel Wirbel um den einstigen Publikumsliebling, doch sie haben ihn wieder ins Herz geschlossen, die Zuschauer an den Schanzen. Immerhin ist er reumütig zum Österreichischen Skiverband (ÖSV) zurückgekehrt und gibt sich seitdem mit dem Platz in Reihe zwei zufrieden. Oder noch weiter hinten, so wie gestern, als er zum Leidwesen des Publikums im ersten Durchgang ausschied.

Die Pläne für die Zeit nach der Karriere liegen schon lange in der Schublade seines umtriebigen Managers Edi Federer. Goldberger könnte Co-Kommentator beim Fernsehen werden, vielleicht auch bei Federer in die Firma einsteigen. „Darüber mache ich mir keine Gedanken. Sonst müsste ich ja nicht hier sein, wenn ich mir überlege, was in ein paar Monaten ist“, meint Goldberger. „Goldi hat sich vom Einzelgänger zum Teamplayer entwickelt“, sagt Trainer Pointner. Goldberger habe den jungen Kollegen Thomas Morgenstern, als der noch keinen Führerschein hatte, immer mit zu den Lehrgängen chauffiert. Früher sei an so etwas nicht zu denken gewesen.

Morgenstern (18) ist Österreichs neuer Schanzenliebling: Unbekümmert, mit einem Lächeln im Gesicht und flotten Sprüchen auf den Lippen schwebt er dem Team voran. Dass er als Zweiter in Garmisch-Partenkirchen in der Anlaufspur viel langsamer war als Sieger Janne Ahonen, ist fast schon eine nationale Angelegenheit geworden. „Der ÖSV-Präsident will sich jetzt selbst darum kümmern“, sagt Pointner.

Morgenstern besitzt außergewöhnliches Talent, gepaart mit positiver Ausstrahlung. Druck bei der Vierschanzentournee? „Nein, das macht mir nichts aus. Mir taugt’s, wenn mir hier bei der Tournee viele Leute die Daumen halten.“ So einfach kann es manchmal sein. Neben dem unbeschwerten Morgenstern haben auch Martin Höllwarth, Andreas Widhölzl und Wolfgang Loitzl Schritte nach vorne unternommen, Österreich ist das beste Team im Weltcup. Pointners Selbstbewusstsein ist berechtigt: „Wir haben ein Vierer-Paket, das sehr stark ist.“

Für Österreich sind das gute Aussichten für die WM im Februar. Andreas Goldberger dürfte es schwer haben, in seiner wohl letzten Saison noch einmal bei einem Großereignis zu springen. Aber: Skispringen mache ihm momentan am meisten Spaß, erklärt Goldberger, der auch den ausgebrannten Sven Hannawald gut versteht. „Wenn du nicht abschalten kannst, keine Erholung kriegst, wenn du ein Buch liest und nach fünf Seiten nicht mehr weißt, was du bisher gelesen hast, dann musst du dir überlegen, was du machen willst, was dir gefällt.“ Auch er durchlebe gelegentlich solche Phasen und habe jüngst erneut festgestellt: „Skispringen, das ist das, was mir in diesem Winter noch taugt.“ Dass die Podestplätze ausbleiben, seine Popularität nur noch von den früheren Erfolgen herrührt, stört ihn nicht. Skispringen, so sagt er mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht, sei wie Fallschirmspringen: „Wenn du den 100. Sprung machst, hörst du nicht auf, dann machst du die nächsten auch noch.“