: Vier Minuten absolute Dunkelheit
■ in Grusical aus Kärnten: Martin Kusej inszeniert im Thalia Theater die Gespenstersonate von August Strindberg
Zur rechten Zeit am rechten Ort das denkbar treffendste Stück he-rausbringen: Das ist dem Regisseur Martin Kusej am 9. Februar, dem Tag der Wiener Regierungserklärung, im Stadttheater Klagenfurt mit August Strindbergs Gespens-tersonate, einer Thalia-Koproduktion, zweifelsohne gelungen, geht es hier doch um nichts anderes als die bösen Geister der Vergangenheit, die nicht zu bannen sind, und um die gutbürgerliche Fassade, hinter der sich Betrug und Mörderei nicht länger verbergen können. Dass zur Premiere weitaus weniger Zuschauer den Saal verließen als bei seinen früheren Inszenierungen, war noch die hoffnungsfrohste Erkenntnis an diesem wohl fins- tersten aller ohnehin schon finsteren Kusej-Abende, denn daraus wäre eventuell abzuleiten, dass sich selbst im Haider-Kärnten die Rezeptionsgewohnheiten mitteleuropäischen Standards langsam annähern.
Schon der Original-Text ist ja ein wahnsinnumwitterter Affront wider den guten Geschmack: Es treten auf unter anderem ein toter Konsul, ein Vampir im Rollstuhl und eine Mumie im Wandschrank, die sich als Papagei gebärdet; seit 20 Jahren trifft man sich zum schweigenden „Gespenstersouper“; nur der verschuldete Hausherr, der Oberst, der in Wahrheit gar kein Oberst ist, redet. Martin Kusej hat den Dreiakter zerpflückt, neu zusammengesetzt, auf die Spitze getrieben und in ein Grusical verwandelt, in dem so viel Text samt neuer Handlungsaspekte von ihm stammt, dass er im Programmheft mit einigem Recht als Mitautor firmiert. Den dem Vernehmen nach schwersten Schock versetzte er dem Klagenfurter Publikum allerdings nicht durch das, was er zeigte (eklig: kübelweise Blut und menschliche Überreste), sondern durch geschlagene vier Minuten absolute Dunkelheit.
Martin Kusej, 1961 in Kärnten geboren und zum Regisseur ausgebildet in Graz, geht mit der Klassiker-Dekonstruktion von Sophokles über Shakespeare bis Goethe und Schiller genauso souverän um wie etwa mit der Zeitgenossin Sarah Kane (Gesäubert vergangenes Jahr in Stuttgart). Zudem hat er im Opernfach Ambitionen, beim Schreiben eigener Stücke, und sogar das Tanztheater ist ihm nicht mehr fremd. In Hamburg kennt man Kusej spätestens seit seinem Prinz Friedrich von Homburg (1994) für das Deutsche Schauspielhaus. Im Thalia Theater debütierte er 1998 mit Geschichten aus dem Wiener Wald von Ödön von Horváth, den er besonders schätzt; die Inszenierung wurde zum Berliner Theatertreffen 1999 eingeladen und gastiert noch bei den diesjährigen Wiener Festwochen. Die Gespenstersonate ist nun seine zweite Arbeit im Flimm-Haus.
Ruhm macht derzeit viele junge Regisseure sesshaft. Martin Kusej setzt dagegen weiterhin auf Freiheit und Eigensinn. Kürzlich wurde ihm die Leitung des Frankfurter Schauspiels angeboten – er lehnte ab. Und auf Intendantenwünsche aus Salzburg und Wien nach garantierten Erfolgsinszenierungen reagiert er schon mal trotzig mit wintersportlicher Abenteurlust: „Ich fahre dort ab, wo ich am meisten Angst habe.“ Ralf Poerschke
Premiere: Sa, 11. März, 20 Uhr, Thalia Theater
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