Vieles ist nicht mehr bezahlbar

■ 25, ist freigestellter Jugend- und Auszubildendenvertreter der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG bei der Deutschen Bahn AG, Landesjugendvertreter der EVG für Berlin und Brandenburg, Ansprechpartner für Jugendtarifverträge und Delegierter bei der Europäischen Transportarbeiterförderation. Nebenbei betreibt er das Musiklabel Kozengz.

Ich bin seit 2007 in der Gewerkschaft – damals habe ich meine Ausbildung als Fachmann für Systemgastronomie bei der Deutschen Bahn AG begonnen. Als sich die Eisenbahner- und Verkehrsgewerkschaft bei uns Azubis vorgestellt hat, bin ich das erste Mal mit der Gewerkschaft in Berührung gekommen und gleich Mitglied geworden. Ich habe dann einige Veranstaltungen besucht und ein paar Leute kennengelernt und dabei mehr darüber gelernt, was Gewerkschaft eigentlich bedeutet, was ihre Ziele sind.

Das hat mich auch aus persönlichen Gründen interessiert: Meine Eltern arbeiten beide sehr hart, seit sie in Deutschland sind, in einer Fertigungshalle eines Autoteilezulieferers. Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Vater mal einen Tag gefehlt hätte bei der Arbeit. Sie verdienen aber beide sehr wenig. In der Gewerkschaft waren sie nie. Das kannten sie auch gar nicht.

Aber ich habe mir darüber viele Gedanken gemacht, weil ich als junger Mann bei der Deutschen Bahn bereits mehr als meine Eltern verdiente. Bei den Gewerkschaftsveranstaltungen habe ich gelernt, dass die Gewerkschaft dafür da ist, genau so etwas zu verhindern, dass Leute wie meine Eltern ihre Rechte gar nicht kennen und deshalb auch nicht wahrnehmen können – und sich ausbeuten lassen, ein Leben lang. Dafür zu sorgen, dass Arbeit ordentlich bezahlt wird – das ist eine Aufgabe der Gewerkschaften.

Seit 2010 bin ich freigestellter Jugendvertreter in meinem Betrieb. Es sind etwa 160 Auszubildende und TeilnehmerInnen an berufsvorbereitenden Maßnahmen, die ich täglich betreue – 90 Prozent davon sind in der Gewerkschaft. Ich merke da einen echten Wandel, schon in den paar Jahren, die ich diese Arbeit jetzt mache. Die jungen Leute informieren sich über ihre Rechte, sie wehren sich, wenn etwas passiert, und wissen auch, worauf es dabei ankommt. Und sie verstehen, wie wichtig die Gewerkschaftsarbeit ist und dass es für sie wichtig ist, in der Gewerkschaft zu sein. Sie erleben am eigenen Leib, dass sich hier in Deutschland etwas verändert, dass die Löhne sinken und dass vieles für sie nicht mehr bezahlbar ist. Dass sie die Mieten nicht mehr bezahlen können in dieser Stadt zum Beispiel, die Lebenshaltungskosten steigen.

Durch die Gewerkschaft erleben sie, dass das ein allgemeines Problem ist, nicht ihr persönliches – und dass da jemand ist, der ihnen hilft, daran was zu ändern. Da trifft man auf offene Ohren bei den jungen Menschen. Sie wollen etwas verändern.

Die jungen Leute informieren sich über ihre Rechte – und sie wehren sich

Ich habe über die Gewerkschaft eine Ausbildung als Referent gemacht und mache jugendpolitische Seminare und Fortbildungen für andere Jugendvertreter. Ich engagiere mich auch im Austausch mit anderen europäischen Gewerkschaften. Ich werde mit der Gewerkschaftsarbeit auf jeden Fall weitermachen. Meine Eltern finden das übrigens gut, dass ich das mache. PROTOKOLL: ALKE WIERTH